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Brüchige Siege

Brüchige Siege

Titel: Brüchige Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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Offenbarung
    angesichts einer Brut- und Brunftstätte von Walrossen. Mag sein, ich hatte Grund, mich zu schämen, doch ich hatte auch Grund zu frohlocken, denn ich wußte mich seither im Einklang mit dem höheren Trachten meiner Natur, das ich nicht länger unterdrücken wollte. Was ist schändlich daran? Darf man
    mehr erwarten?
    Die nächste Epoche in meinem Leben sollte die bis dahin
    glücklichste werden. Während sie sich anließ, kam mir die
    Neigung abhanden, Buch über die Ereignisse zuführen. So
    erklärt sich die spärliche Erwähnung der Menschen und
    täglichen Begebenheiten, selbst der tragenden, die mir die Gewißheit gaben, meine Nische in der menschlichen
    Gesellschaft gefunden zu haben. In Wahrheit habe ich das
    Wenige, das ich aufgeschrieben hatte, vor langer Zeit aus
    diesem Log herausgerissen, woraufhin es im Maul eines
    Polarbären am Kotzebue-Sund* verschwand, wie die heutigen
    Alasker die Meerenge nennen. Dieser Teil meines
    Erdendaseins sei hier noch einmal in einer schmerzlichen
    Kurzfassung wiederholt, um die Brücke zwischen meinem
    frühen Selbst als Wiederauferstandener und dem halb
    zurückgezogen lebenden Bürger zu schlagen, der ich später
    wurde.
    Ich sollte etwa sechzig oder siebzig Jahre lang unter einem Völkchen aus wechselweise maritimen und binnenländischen
    Inuits leben, Menschen, die von Kosaken und anderen
    Europäern auch Esquimaux genannt werden. Zu ihnen
    gelangte ich in einem Umiak, einem Walfangboot, das ich bei einem vorgeschobenen Handelsposten an der östlichsten Spitze der Tschuktschen-Halbinsel gestohlen und meilenweit über das offene Wasser der Beringstraße bis an ein vereiste Landzunge in der Nähe des heutigen Shishmarej* gesteuert hatte. Mein Schöpfer, den ich wieder aus der Grotte an der Ostseite geholt hatte, war mit an Bord, doch sein denkbar geringer Beitrag zu unserer Kreuzfahrt war nicht dazu angetan, ihn namentlich in die Crewliste aufzunehmen.
    Einmal drüben, wanderte ich, meinen Erzeuger auf einer
    neuen Stangenbahre hinter mir her schleppend, gen Westen bis ich südöstlich eines weiten Nebengewässers und unweit eines Flusses auf ein Dorf stieß. Ich war schon an manchen Dörfern vorbeigezogen, doch dieses lud mich durch die Gepflegtheit und das Ebenmaß seiner Häuser, Fischtrockenroste und
    Schlittengestelle ein, und nicht zuletzt durch die Lebhaftigkeit und gute Laune seiner Menschen.
    Wegen des Schnee-Eulen-Totems am Haupt-Kasgi, dem
    Männerhaus, will ich das Dorf Ungpek nennen, und die
    Menschen nach dem Namen ihres Dorfes die Ungpekmat.
    Ich möchte weder Ort noch Einwohner kenntlich machen;
    letztere zählten ungefähr vierzig Menschen und umfaßten fünf oder sechs Familien, die durch Blut oder Heirat miteinander verwandt waren. Ungpek, entschied ich, würde sich gut als
    Wahlheimat eignen, und nachdem ich das Dorf eingehend
    ausgekundschaftet hatte, gab ich mir redliche Mühe, mich als wohlgesonnener Fremdling in die Gemeinschaft
    einzuschleusen.
    Die Ungpekmat behandelten mich anfangs nicht viel anders,
    als es die beiden sibirischen Tschuktschenjäger getan hatten.
    Sie begegneten mir mit demselben erbarmungslosen Argwohn
    – und mit Furcht. Die Dorfbewohner betrachteten mich, als sei ich ein böser Geist, der greifbare Gestalt angenommen hatte.
    Und die Leiche in meinem Schlepptau war nicht gerade das,

    was man ein Leumundszeugnis nennt. Wiewohl ich die
    Ungpekmat in Jupik ansprach, ihrer Sprache also, und ihnen anbot, nach Kräften zu ihrem Nahrungsvorrat und zu ihrer
    Verteidigung gegen Mensch und Tier beizutragen, scheiterte mein freundlich vorgetragener Antrag an ihrer Bestürzung und ihrem Unglauben. Ich wünschte mir Gefährten und einen Platz angemessener Wertschätzung in ihrer Mitte. Schließlich aber machten ihnen meine offenkundige Fügsamkeit und ihre
    wachsende Ungeduld Mut, und sie jagten mich mit Harpunen
    und Keulen davon.
    Ich veränderte, soweit mir das möglich war, meine äußere
    Erscheinung, um mich mehr der ihren anzupassen. Ich stutzte mir das Haar im Nacken und an den Ohren, bis meine Frisur

in etwa dem schüsselförmigen Rundschnitt dieser Männer
    entsprach. Ich brachte mir Löcher an den Mundwinkeln bei,
    die jene Pflöcke aufnehmen sollten, Schmuckstücke aus Stein oder Elfenbein, die mich kurioserweise an die Hauer von
    Walrossen erinnerten. Ich fertigte meine Pflöcke aus
    glattgeschliffenen Flußsteinen und legte sie täglich an, um mich an ihren Widerstand und ihr Gewicht zu gewöhnen.

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