Brüchige Siege
Offenbarung
angesichts einer Brut- und Brunftstätte von Walrossen. Mag sein, ich hatte Grund, mich zu schämen, doch ich hatte auch Grund zu frohlocken, denn ich wußte mich seither im Einklang mit dem höheren Trachten meiner Natur, das ich nicht länger unterdrücken wollte. Was ist schändlich daran? Darf man
mehr erwarten?
Die nächste Epoche in meinem Leben sollte die bis dahin
glücklichste werden. Während sie sich anließ, kam mir die
Neigung abhanden, Buch über die Ereignisse zuführen. So
erklärt sich die spärliche Erwähnung der Menschen und
täglichen Begebenheiten, selbst der tragenden, die mir die Gewißheit gaben, meine Nische in der menschlichen
Gesellschaft gefunden zu haben. In Wahrheit habe ich das
Wenige, das ich aufgeschrieben hatte, vor langer Zeit aus
diesem Log herausgerissen, woraufhin es im Maul eines
Polarbären am Kotzebue-Sund* verschwand, wie die heutigen
Alasker die Meerenge nennen. Dieser Teil meines
Erdendaseins sei hier noch einmal in einer schmerzlichen
Kurzfassung wiederholt, um die Brücke zwischen meinem
frühen Selbst als Wiederauferstandener und dem halb
zurückgezogen lebenden Bürger zu schlagen, der ich später
wurde.
Ich sollte etwa sechzig oder siebzig Jahre lang unter einem Völkchen aus wechselweise maritimen und binnenländischen
Inuits leben, Menschen, die von Kosaken und anderen
Europäern auch Esquimaux genannt werden. Zu ihnen
gelangte ich in einem Umiak, einem Walfangboot, das ich bei einem vorgeschobenen Handelsposten an der östlichsten Spitze der Tschuktschen-Halbinsel gestohlen und meilenweit über das offene Wasser der Beringstraße bis an ein vereiste Landzunge in der Nähe des heutigen Shishmarej* gesteuert hatte. Mein Schöpfer, den ich wieder aus der Grotte an der Ostseite geholt hatte, war mit an Bord, doch sein denkbar geringer Beitrag zu unserer Kreuzfahrt war nicht dazu angetan, ihn namentlich in die Crewliste aufzunehmen.
Einmal drüben, wanderte ich, meinen Erzeuger auf einer
neuen Stangenbahre hinter mir her schleppend, gen Westen bis ich südöstlich eines weiten Nebengewässers und unweit eines Flusses auf ein Dorf stieß. Ich war schon an manchen Dörfern vorbeigezogen, doch dieses lud mich durch die Gepflegtheit und das Ebenmaß seiner Häuser, Fischtrockenroste und
Schlittengestelle ein, und nicht zuletzt durch die Lebhaftigkeit und gute Laune seiner Menschen.
Wegen des Schnee-Eulen-Totems am Haupt-Kasgi, dem
Männerhaus, will ich das Dorf Ungpek nennen, und die
Menschen nach dem Namen ihres Dorfes die Ungpekmat.
Ich möchte weder Ort noch Einwohner kenntlich machen;
letztere zählten ungefähr vierzig Menschen und umfaßten fünf oder sechs Familien, die durch Blut oder Heirat miteinander verwandt waren. Ungpek, entschied ich, würde sich gut als
Wahlheimat eignen, und nachdem ich das Dorf eingehend
ausgekundschaftet hatte, gab ich mir redliche Mühe, mich als wohlgesonnener Fremdling in die Gemeinschaft
einzuschleusen.
Die Ungpekmat behandelten mich anfangs nicht viel anders,
als es die beiden sibirischen Tschuktschenjäger getan hatten.
Sie begegneten mir mit demselben erbarmungslosen Argwohn
– und mit Furcht. Die Dorfbewohner betrachteten mich, als sei ich ein böser Geist, der greifbare Gestalt angenommen hatte.
Und die Leiche in meinem Schlepptau war nicht gerade das,
was man ein Leumundszeugnis nennt. Wiewohl ich die
Ungpekmat in Jupik ansprach, ihrer Sprache also, und ihnen anbot, nach Kräften zu ihrem Nahrungsvorrat und zu ihrer
Verteidigung gegen Mensch und Tier beizutragen, scheiterte mein freundlich vorgetragener Antrag an ihrer Bestürzung und ihrem Unglauben. Ich wünschte mir Gefährten und einen Platz angemessener Wertschätzung in ihrer Mitte. Schließlich aber machten ihnen meine offenkundige Fügsamkeit und ihre
wachsende Ungeduld Mut, und sie jagten mich mit Harpunen
und Keulen davon.
Ich veränderte, soweit mir das möglich war, meine äußere
Erscheinung, um mich mehr der ihren anzupassen. Ich stutzte mir das Haar im Nacken und an den Ohren, bis meine Frisur
in etwa dem schüsselförmigen Rundschnitt dieser Männer
entsprach. Ich brachte mir Löcher an den Mundwinkeln bei,
die jene Pflöcke aufnehmen sollten, Schmuckstücke aus Stein oder Elfenbein, die mich kurioserweise an die Hauer von
Walrossen erinnerten. Ich fertigte meine Pflöcke aus
glattgeschliffenen Flußsteinen und legte sie täglich an, um mich an ihren Widerstand und ihr Gewicht zu gewöhnen.
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