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Brüchige Siege

Brüchige Siege

Titel: Brüchige Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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Geistige Zerstreuung – sei es Lesen, Spielen, Debattieren oder der philosophische
    Gedankenflug – war meiner Welt abhanden gekommen; mit
    jedem Tag stieg ich ein Stück tiefer in jene geistlose
    Instinktwelt von Timberwolf und Schnee-Eule hinab.
    Eine zufällige Begegnung, an der nicht ein einziger Mensch Anteil hatte, gebot diesem Abstieg Einhalt. Während ich ziellos den eisigen Klippen der Beringstraße folgte, vernahm ich den Lärm sich paarender Walrosse. Dieses leidenschaftliche

    Gebrüll, das an eine gemischte Meute aus kläffenden Hunden und quiekenden Schweinen erinnerte, brach sich an den
    meerseitigen Steilhängen. Ich suchte nach dem Ort des
    Geschehens. Nicht lange, und ich hatte einen mit
    Rankenfußkrebsen übersäten Granitkopf leeseits der
    Brunftstätte erklommen.
    Von meinem Hochsitz aus konnte ich heimlich den Harem
    und den Sultan beobachten, der eben ein junges Weibchen
    bestieg. Er brüllte vor Triumph und Ekstase. Ich bezweifelte, ob die an den Boden gedrängte Auserwählte auch nur das geringste Vergnügen an den hitzigen und gewalttätigen
    Liebesbezeugungen ihres Gebieters hatte. Andererseits mochte sie ihre Rolle als Leitstern für ihn und die anderen Weibchen genießen; als könne sie Gedanken lesen, bellte sie ihr
    fragwürdiges Entzücken periodisch in den Wind. Die
    Weibchen, die weder mit Gebären noch mit ihrer Hackordnung beschäftigt waren, kümmerten sich um ihre naßäugigen
    Jungen.
    All das sog ich mit der größten Neugier, Gereiztheit und
    Erregung in mich hinein. Ich gestehe schamvoll, daß ich in Erwägung zog, den Bullen mit einer seiner Konkubinen zum
    Hahnrei zu machen. Das Unterfangen erschien mir
    durchführbar, doch riskant: Ich mochte eine Verletzung durch die Hauer davontragen. Wenn sein Volumen nicht täuschte,
    dann brachte er das Fünffache von mir auf die Waage.
    Folglich war er auch nicht so gewandt oder flink wie ich, und der Brunftplatz war groß. Ein gewitzter Bursche mochte mit ein, zwei Damen kopulieren können, vorausgesetzt er hielt die nötige Distanz zum Walroßkönig, um nicht gestört oder gar verletzt zu werden.
    Ich nährte ernsthaft diese Vorstellung, die so widernatürlich war, wie Frankenstein oder seine ermordete Braut sie zu
    Lebzeiten genannt hätte; das Verlangen in meinen Lenden

    hatte eine hartnäckige Schwellung erzeugt, ich durchlitt ein unsägliches Martyrium aus bittersüßen Qualen. Zuletzt (mein geistiges Auge sah mich mit einem schnauzbärtigen, beinlosen und fischfressenden Ungetüm koitieren) schwor ich zutiefst entsetzt der Versuchung ab und spritzte meine Lava auf einen Stein.
    Augenblicklich erstarb meine Wollust, und ich widmete mich mehr der Walroßgesellschaft abseits des kopulierenden
    Paares. Wie entzückend und berückend sie waren. Die Mütter und ihre Jungen erwiesen einander rührende
    Liebesbezeugungen, deren Betrachten einmal mehr jene Wut in mir entfachte, die mich bereits auf den Orkney-Inseln
    übermannt hatte, als mein Schöpfer die mir versprochene
    Gefährtin zerstört hatte. Fast alle denkenden Wesen erfahren schon früh, was Einsamkeit ist, viel früher als sich ihre
    Begehrlichkeit einstellt. Meine Sehnsucht nach Freundschaft, nach der tröstenden Nähe und Wärme eines Körpers hatte
    ältere Rechte als mein Paarungstrieb. Bei den Müttern und
    Jungtieren fand immerhin ein verwandtes Verlangen nicht nur seine Befriedigung, sondern auch sein Spielfeld. Ich beneidete sie um ihre Zärtlichkeiten.
    Und wie ich sie beneidete. Meine Wut verebbte. Frankenstein war tot. Wie also sollte er mir ein Weib erschaffen? Und
    außerdem, wie ich früher oder später hinzunehmen hatte, gab es niemanden sonst, der eben dieses Wunder hätte vollbringen können. Ich mußte Schritt um Schritt mein selbstgewähltes Exil aufgeben und mir eine Gefährtin aus den Reihen der
    Menschenkinder suchen. Oder ich mußte mich, gesetzt den
    Fall, diesem Bemühen war so wenig Erfolg beschieden, wie ich vermutete, zuvor in Selbstbeherrschung üben und meinen
    Charakter ändern. Die Resultate, so hoffte ich, würden mich leichter in die menschlichen Gemeinschaft schlüpfen lassen.
    Als Mitglied derselben, das seine Gutmütigkeit und Redlichkeit unter Beweis gestellt hatte, mochte ich sodann die künftige Gefährtin all meiner Sehnsüchte gewinnen. Oder auch nicht.
    Ich war jedenfalls entschlossen, der trostlosen Wildnis zu entsagen und mich der Laufbahn eines eifrigen Philanthropen zu verschreiben.
    Diese innere Umkehr verdankte ich einer

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