Brüchige Siege
uns
gehängt hatte, hieß nicht gerade, daß er sich viel draus machte.
Gut so. Vielleicht hatte er mich ja als Zimmergenossen
akzeptiert, weil ich nicht reden konnte.
Nach dem Abendessen mußte ich beim Abwasch helfen, dann
hockte ich mich in den Clubraum, gleich neben ein paar
Burschen, die Karten spielten – Herz ist Trumpf, glaube ich,
und lauschte der Tanzmusik und den Nachrichten aus dem
kapellchenförmigen Philco-Radio. John L. Lewis (sagte H. V.
Kaltenborn) habe seine Braunkohlenarbeiter zu einem Streik
aufgerufen, der Patrioten mit den Zähnen knirschen lasse.
Oben in Alaska sei die Army dabei, den letzten japanischen
Widerstand auf Attu zu brechen, und die Eleventh Air Force
lasse nicht nach, Kiska* die Seele aus dem Leib zu bomben.
Karten interessierten mich nicht, und so vertrieb ich mir beim Radiohören die Zeit mit einem Puzzle. Das Bild auf dem
Karton zeigte den Eiffelturm. Niemand störte mich.
Schließlich mußte ich nach oben. Um elf war Finale in McKissic House. Ausreichend Schlaf und ein fester Zeitplan
waren die Rahmenbedingungen für Mister JayMacs
Investitionen. Verletzungen der Hausordnung wurden mit
Geldstrafen geahndet.
Jumbo lag ausgestreckt auf seinem Bett und las. Er hatte die
Grasmatte wie eine Gardine zurückgebunden, damit ihn jede
noch so unwahrscheinliche Brise erreichte, die durchs Fenster
wehte. Der Ventilator schabte und pendelte wie eine Stripperin im Fischbeinkorsett. Von der Tür aus konnte ich den ganzen
Raum übersehen. Mir fielen fast die Augen aus dem Kopf.
Jumbo hatte eine große, bronzene Vase mit einem Strauß
Blumen an mein Feldbett gestellt. Hortensien, Schneeball und
Wilde Möhre. Die Blumen halfen. Wenn man von den
Etiketten auf den Konservendosen mit den roten Jeanne-d’Arc-Bohnen absah, sprühte das Zimmer nicht gerade vor Farben.
Die Blumen machten es gleich freundlicher hier. Jumbo blickte
von seiner Lektüre auf. Seine Augen machten mich trotz der
Hitze frösteln. Ich wollte rasch zu meinem Feldbett rüber, als Jumbo die Hand hob.
»Du hast gut gespielt heute morgen.«
Ich zog den Kopf ein. Jumbo hatte auch gut gespielt. Er hatte
einen schweren Balata-Ball* über die Bande geschlagen und
im Feld gespielt wie einer, der eine Art Magnet für Pferdeleder im Handschuh hat. Doch so, wie er aussah, mußte ich sofort an
die Spekulationen der anderen denken. An Wunden, Qualen
und Tod. Ich hatte, um es auf den Punkt zu bringen, eine
Aversion gegen den Anblick. Schließlich sah ich ja auch nicht so toll aus.
Meine Reaktion auf Jumbo erinnerte mich daran, wie ich als
Zwölfjähriger auf meinen besten Freund in Tenkiller reagiert
hatte, und zwar nachdem Kenny einen heftigen Unfall mit dem
Schlitten gehabt hatte. Sein voller Name war Kenneth Ward. In
einem schneereichen Winter schoß er auf einem Northern
Flyer über den Wall einer Senkegrube, die voller
Brombeergestrüpp war. Er fiel zehn oder zwölf Fuß tief.Die Dornen zerschlitzten und zerkratzten ihn so gründlich, als sei er durch ein Gemenge aus nasser Baumwolle und Stopfnadeln
gestürzt. Er verlor das Bewußtsein. Er bebte am ganzen Leib.
Zu dritt schafften wir es, ihn da rauszuholen, und bestimmt
haben wir ihm noch zusätzliche Verletzungen beigebracht, als
wir ihn durch das verschneite Dornengestrüpp aus der Grube
zerrten. Ich weiß nicht mehr, wieso Kennys Dad plötzlich da
war, jedenfalls hat er ihn schleunigst in die Notaufnahme am
Cherokee-County-Hospital gebracht. Ich habe Kenny nicht im
Krankenhaus besucht, wohl etliche Tage später in dem kleinen
Haus der Wards in Tenkiller.
Kenny sah nicht aus wie Kenny. Er sah aus wie… wie soll
ich sagen? Wie das Opfer von tausend Wespenstichen. Oder
das Opfer einer Stierattacke. Zwei geschwollene blaue Augen
(eigentlich mehr rot und violett als blau), eine kaputte Nase
und Lippen, die an einen Albino-Wels erinnerten. Bei Kennys
Anblick wurde mir angst und bange. Als das Haus wieder
außer Sicht war, beschlich mich ein Gefühl, als ob das gar
nicht Kenny gewesen war. Nicht Kenny, sondern irgend etwas
Fremdes, Häßliches, womöglich ein Untoter, den UFO-Leute
ins Haus der Wards geschmuggelt hatten. Ich ging nicht wieder
hin. Auch als er über den Berg war und allmählich wieder so
aussah, wie der Kenny mit den vorstehenden Zähnen, den ich
von früher kannte, stand ich fortan unter einem Bann aus Ekel
und Scham. Ich konnte mich nicht wieder mit ihm anfreunden.
Ich empfand Jumbo gegenüber, was ich
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