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Brüchige Siege

Brüchige Siege

Titel: Brüchige Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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uns
    gehängt hatte, hieß nicht gerade, daß er sich viel draus machte.
    Gut so. Vielleicht hatte er mich ja als Zimmergenossen
    akzeptiert, weil ich nicht reden konnte.
    Nach dem Abendessen mußte ich beim Abwasch helfen, dann
    hockte ich mich in den Clubraum, gleich neben ein paar
    Burschen, die Karten spielten – Herz ist Trumpf, glaube ich,
    und lauschte der Tanzmusik und den Nachrichten aus dem
    kapellchenförmigen Philco-Radio. John L. Lewis (sagte H. V.
    Kaltenborn) habe seine Braunkohlenarbeiter zu einem Streik
    aufgerufen, der Patrioten mit den Zähnen knirschen lasse.
    Oben in Alaska sei die Army dabei, den letzten japanischen
    Widerstand auf Attu zu brechen, und die Eleventh Air Force
    lasse nicht nach, Kiska* die Seele aus dem Leib zu bomben.
    Karten interessierten mich nicht, und so vertrieb ich mir beim Radiohören die Zeit mit einem Puzzle. Das Bild auf dem
    Karton zeigte den Eiffelturm. Niemand störte mich.
    Schließlich mußte ich nach oben. Um elf war Finale in McKissic House. Ausreichend Schlaf und ein fester Zeitplan
    waren die Rahmenbedingungen für Mister JayMacs
    Investitionen. Verletzungen der Hausordnung wurden mit
    Geldstrafen geahndet.

    Jumbo lag ausgestreckt auf seinem Bett und las. Er hatte die
    Grasmatte wie eine Gardine zurückgebunden, damit ihn jede
    noch so unwahrscheinliche Brise erreichte, die durchs Fenster
    wehte. Der Ventilator schabte und pendelte wie eine Stripperin im Fischbeinkorsett. Von der Tür aus konnte ich den ganzen
    Raum übersehen. Mir fielen fast die Augen aus dem Kopf.
    Jumbo hatte eine große, bronzene Vase mit einem Strauß
    Blumen an mein Feldbett gestellt. Hortensien, Schneeball und
    Wilde Möhre. Die Blumen halfen. Wenn man von den
    Etiketten auf den Konservendosen mit den roten Jeanne-d’Arc-Bohnen absah, sprühte das Zimmer nicht gerade vor Farben.
    Die Blumen machten es gleich freundlicher hier. Jumbo blickte
    von seiner Lektüre auf. Seine Augen machten mich trotz der
    Hitze frösteln. Ich wollte rasch zu meinem Feldbett rüber, als Jumbo die Hand hob.
    »Du hast gut gespielt heute morgen.«
    Ich zog den Kopf ein. Jumbo hatte auch gut gespielt. Er hatte
    einen schweren Balata-Ball* über die Bande geschlagen und
    im Feld gespielt wie einer, der eine Art Magnet für Pferdeleder im Handschuh hat. Doch so, wie er aussah, mußte ich sofort an
    die Spekulationen der anderen denken. An Wunden, Qualen
    und Tod. Ich hatte, um es auf den Punkt zu bringen, eine
    Aversion gegen den Anblick. Schließlich sah ich ja auch nicht so toll aus.
    Meine Reaktion auf Jumbo erinnerte mich daran, wie ich als
    Zwölfjähriger auf meinen besten Freund in Tenkiller reagiert
    hatte, und zwar nachdem Kenny einen heftigen Unfall mit dem
    Schlitten gehabt hatte. Sein voller Name war Kenneth Ward. In
    einem schneereichen Winter schoß er auf einem Northern
    Flyer über den Wall einer Senkegrube, die voller
    Brombeergestrüpp war. Er fiel zehn oder zwölf Fuß tief.Die Dornen zerschlitzten und zerkratzten ihn so gründlich, als sei er durch ein Gemenge aus nasser Baumwolle und Stopfnadeln

    gestürzt. Er verlor das Bewußtsein. Er bebte am ganzen Leib.
    Zu dritt schafften wir es, ihn da rauszuholen, und bestimmt
    haben wir ihm noch zusätzliche Verletzungen beigebracht, als
    wir ihn durch das verschneite Dornengestrüpp aus der Grube
    zerrten. Ich weiß nicht mehr, wieso Kennys Dad plötzlich da
    war, jedenfalls hat er ihn schleunigst in die Notaufnahme am
    Cherokee-County-Hospital gebracht. Ich habe Kenny nicht im
    Krankenhaus besucht, wohl etliche Tage später in dem kleinen
    Haus der Wards in Tenkiller.
    Kenny sah nicht aus wie Kenny. Er sah aus wie… wie soll
    ich sagen? Wie das Opfer von tausend Wespenstichen. Oder
    das Opfer einer Stierattacke. Zwei geschwollene blaue Augen
    (eigentlich mehr rot und violett als blau), eine kaputte Nase
    und Lippen, die an einen Albino-Wels erinnerten. Bei Kennys
    Anblick wurde mir angst und bange. Als das Haus wieder
    außer Sicht war, beschlich mich ein Gefühl, als ob das gar
    nicht Kenny gewesen war. Nicht Kenny, sondern irgend etwas
    Fremdes, Häßliches, womöglich ein Untoter, den UFO-Leute
    ins Haus der Wards geschmuggelt hatten. Ich ging nicht wieder
    hin. Auch als er über den Berg war und allmählich wieder so
    aussah, wie der Kenny mit den vorstehenden Zähnen, den ich
    von früher kannte, stand ich fortan unter einem Bann aus Ekel
    und Scham. Ich konnte mich nicht wieder mit ihm anfreunden.
    Ich empfand Jumbo gegenüber, was ich

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