Brückenorakel Bd 2 - Weltenwanderer (German Edition)
mit Brucie.
»Sind ihre Flügel wirklich nachgewachsen?«, fragte Hannah.
»Ja, und sie sind größer als zuvor.«
»Das ist ja phantastisch. Und was wollte sie?«
Avi holte tief Luft. »Meine Mutter möchte, dass ich ins Feenreich zurückkehre. Ich glaube, sie hat wegen der Vorfälle ein schlechtes Gewissen.« Er überlegte. »Offen gestanden, glaube ich eher, dass sie mir Schuldgefühle einimpfen will.«
»Und was hast du geantwortet?«
Die Frage überraschte ihn. »Ich habe natürlich nein gesagt.«
»Und ist es dir wirklich ernst damit?«, hakte Hannah mit besorgter Miene nach.
Der riesige Drache sauste, raschelnd im Wind, über ihre Köpfe hinweg.
»Natürlich«, entgegnete Avi. »Ich habe diese Entscheidung schon vor Monaten gefällt. Warum sollte ich meine Meinung jetzt ändern?«
»Keine Ahnung. Vermisst du sie nicht?«
Er zögerte. »Vielleicht ein bisschen. Doch ich kann ihr nicht verzeihen, was sie getan hat.«
Hannah blieb stehen. Ihr Gesichtsausdruck war noch niedergeschlagener geworden. »Nun, ich freue mich, dass du bleibst«, erwiderte sie.
Das war alles andere als der Gefühlsausbruch, den Avi sich erhofft hatte. Wieder musste er daran denken, dass Hannah ihre Beziehung vor ihrer Mutter geheim hielt und sich nicht wirklich darauf einließ, und er fragte sich, was in Wahrheit in ihr vorging.
Es heißt, die Welt der Sterblichen und das Feenreich könnten eins werden. Aber gilt das auch für uns?
Eigentlich hatten sie durch den Regent’s Park schlendern wollen, mussten allerdings am Zoo feststellen, dass eine beträchtliche Menschenansammlung ihnen den Weg versperrte. Die Leute hatten sich am Straßenrand versammelt und starrten alle in dieselbe Richtung. Ein lautstarkes Krächzen und Kreischen übertönte das gedämpfte Stimmengewirr. Neugierig schlängelten sich Avi und Hannah bis ganz nach vorne durch. Hinter einem niedrigen Zaun ragte das Snowdown Aviary über eine Hecke.
Auf ihren Spaziergängen kamen sie oft an diesem Vogelhaus vorbei, das Hannah immer an einen überdimensionalen Diamanten erinnerte. Da heute der Wind die dreieckigen Scheiben zum Singen brachte, musste Avi eher an den riesigen Drachen denken, den sie vorhin gesehen hatten. Im Inneren des Vogelhauses herrschte große Aufregung. Tukane mit regenbogenbunten Schnäbeln flatterten wild herum, Dutzende von Paradiesvögeln, deren Gefieder leuchtenden Farbklecksen ähnelte, flogen im Kreis herum.
»Was ist denn hier los?«, erkundigte sich Hannah bei einer Frau, die mit einem Fotoapparat bewaffnet war.
»Ich glaube, ein Vogel ist entflogen«, antwortete die Frau mit schwedischem Akzent. Da Avi ganz in der Nähe einen Reisebus bemerkte, nahm er an, dass sie und die anderen Neugierigen zu einer Touristengruppe gehörten, die gerade ausgestiegen war, um den Zoo zu besuchen. Die Schaulustigen drängelten und hoben die Kameras über die Köpfe, um ein Foto zu machen. Ein dicker Mann im Rollstuhl versuchte, sich von ganz hinten nach vorne durchzuarbeiten.
Die allgemeine Aufregung war ansteckend, und so lehnten sich auch Avi und Hannah über den Zaun und suchten mit Blicken das Gebüsch ab.
Im nächsten Moment kam ein Zoo-Mitarbeiter mit einem riesigen Schmetterlingsnetz angelaufen. Ihm folgten einige mit Säcken, Stöcken und Funkgeräten ausgerüstete Kollegen. Der fünfte Wärter hatte sogar ein Gewehr bei sich. Direkt vor Avi und Hannah hielten die Männer inne, um das Unterholz zu beobachten.
»Siehst du etwas?«, flüsterte Hannah Avi zu.
Weil die Sonne hoch am Himmel stand, warfen die Sträucher dunkle Schatten, so dass Avi nichts entdecken konnte. Langsam und von Handzeichen begleitet schlichen sich die Zoo-Mitarbeiter an. Avi schaute noch einmal hin.
In einem nahe gelegenen Baum raschelte es. Ein Tier plumpste zu Boden, verharrte nach dem Aufprall reglos – und verschwand. Avi blinzelte, doch es war nichts mehr auszumachen. War das vielleicht ein Affe gewesen?
Plötzlich flog einige Meter weiter ein Laubhaufen in die Luft. Jemand stieß einen Schrei aus, und der Wärter mit dem Gewehr legte die Waffe an. Sein Kollege fuhr mit dem Schmetterlingsnetz durch den Laubhaufen, vergeblich. Die Zuschauer erstarrten. Niemand regte sich.
Die Vögel im Vogelhaus hatten sich inzwischen auf ihren Sitzstangen niedergelassen und schienen die Szene genauso interessiert zu verfolgen wie die Menschen.
Wieder raschelte Laub, und zwar ganz in der Nähe des Zauns, vor dem sich die Menschenmenge drängte. Avi und Hannah zuckten
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