Brückenorakel Bd 2 - Weltenwanderer (German Edition)
Vorräte gehen zur Neige«, sagte er und schüttelte das Fläschchen. »Je eher die Brücke einsatzbereit ist, desto besser.« Er betrachtete die hohen Schornsteine. »Wenigstens haben wir den bestmöglichen Standort gefunden. Dieses Bauwerk ist eine Pracht!«
Levi verzog das Gesicht. »Können wir jetzt umkehren? Das ständige Hin und Her gefällt mir gar nicht.«
Kellen lachte auf. »Armer Junge. Du hast bis jetzt so ein behütetes Leben geführt. Aber das wird sich bald ändern. Wenn die Welten vereint sind, teile ich sie vielleicht mit dir.«
»Eine eigene Welt? Aber die Hauptsache ist, dass ich meine Rache bekomme.«
»An deinem Bruder?«
» Halb bruder«, verbesserte Levi.
»Avi hat sich für einiges zu verantworten«, stimmte Kellen zu und betastete die Narbe an seiner Wange. »Keine Sorge, mein Sohn, wenn wir unsere Goblin-Truppen in diese Welt schicken, werden wir zuerst den Jungen suchen und ihn für alles büßen lassen, was er uns angetan hat. Sein Flittchen ebenfalls.«
»Wir könnten sie foltern und ihn zwingen, dabei zuzusehen«, schlug Levi vor.
»Alles zu seiner Zeit«, meinte Kellen und klopfte ihm auf die Schulter. »Und jetzt lass uns zurückkehren. Trink einen ordentlichen Schluck, oder willst du im Déopnes landen?«
Die beiden nahmen einen Schluck aus dem Fläschchen. Avi fragte sich, wie viele bedauernswerte Elfen für diese kleine Portion wohl ihre Flügel hatten lassen müssen. Blaue Flammen züngelten rings um Kellen und Levi hoch, zuckten kurz und waren im nächsten Moment verschwunden – ebenso wie der König der Goblins und sein Sohn.
Langsam kroch Avi hinter der Plane hervor. Er war erschöpft und schmutzig und kochte außerdem vor Wut. Warum konnte Kellen nicht bleiben, wo er hingehörte? Er ging zu der Stelle hinüber, wo seine Widersacher sich gerade in Luft aufgelöst hatten. Der Boden qualmte noch. Avi stand da und spürte, wie der Zorn in ihm tobte, während am dämmrigen Himmel die Möwe kreiste. Es begann zu regnen, und Tropfen fielen auf sein nach oben gewandtes Gesicht. Die Magie war fort. Das Elektrizitätswerk von Battersea hatte die Macht über das Wetter verloren. Über einem der Schornsteine zuckte ein Blitz. Avis Kleider, die seit dem Wolkenbruch von vorhin beinahe getrocknet gewesen waren, bekamen die ersten dunklen Flecken. Im nächsten Moment öffnete der Himmel seine Schleusen, und es regnete, als ergössen sich Tausende von Eimern Wasser auf einmal aus den Wolken. Avi störte das nicht. Zumindest spülte der Regen das Blut des Goblins fort.
Sie sind Mörder, dachte er, als er sich daran erinnerte, wie Levi dem Goblin seinen Degen in den Leib gestoßen hatte, ohne mit der Wimper zu zucken. Allein dafür müssen sie bezahlen.
Donner grollte, und ein eisiger Wind wehte über die Mauern in den leeren Saal, so dass Avi vor Kälte zitterte. Plötzlich wollte er nichts wie weg aus Battersea. Er sehnte sich danach, Hannah in den Armen zu halten und ihr zu sagen, dass alles in Ordnung sei und dass er Kellen daran hindern würde, sie zu entführen. Es war Zeit, ihr endlich reinen Wein einzuschenken.
Diesmal benutzte Avi nicht den Baustellenlift, sondern eilte zurück zur Plane, um die Eisenstange zu holen. Durch den Regen lief er zu einer der verriegelten Türen, schob die Stange zwischen Türstock und Tür und lehnte sich mit seinem ganzen Gewicht dagegen. Zunächst hielt die Tür seinen Bemühungen stand, doch dann gab sie mit einem lauten Knacken nach. Als er das Elektrizitätswerk verließ, wurde er von trockener Luft und strahlendem Sonnenschein empfangen. Ein Blick zurück verriet ihm, dass die vier großen Kamine des Gebäudes beinahe in der Wolkendecke versunken waren.
Wie meine Augen, sagte er sich. Das Wetter hier kommt aus einer anderen Welt.
An der Chelsea Bridge hielt er ein Taxi an. Als der Fahrer einen Witz über seine nassen Sachen machte, tat Avi sein Bestes, ihn komisch zu finden. Er nannte die Adresse und bat den Mann, sich zu beeilen.
Die Fahrt nach Primrose Hill schien eine Ewigkeit zu dauern. Unterwegs hatte Avi ständig das Bild vor Augen, wie Levi den bedauernswerten Goblin aufspießte, und sein Lachen hallte ihm in den Ohren. Beim letzten Mal hatte Kellen Hannah vier Monate festgehalten, was schon schlimm genug gewesen war. Der Gedanke, dass ihr etwas zustoßen könnte, war ihm unerträglich.
Vor Hannahs Haus angekommen, hastete Avi den Gartenweg entlang und stürmte zur Eingangstür herein. Aus seinen Kleidern tropfte das Wasser auf
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