Brückenorakel Bd 2 - Weltenwanderer (German Edition)
»dass wir in dieser Wohnung inzwischen eine ganze Reihe von Kunstwerken hängen haben. Es sind Originale von Picasso, Rodin, Monet und Boltwhistle darunter.«
»Boltwhistle?«, wunderte sich Hannah. »Wer soll denn das sein?«
»Eine berühmte Malerin«, erklärte Roosevelt. »Aber bei einer einfachen Sterblichen kann man dieses Wissen wohl nicht voraussetzen.« Wieder verzog er das Gesicht und griff sich an den Fuß.
»Ach herrje. Avi hat erwähnt, dass du die Gicht hast.« Hannah musste ein Grinsen unterdrücken. »Tut es sehr weh?«
»Es brennt wie Rom, mein liebes Kind.«
Avi versetzte ihr einen Rippenstoß, um zu verhindern, dass sie ihn weiter hänselte. Hannah hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie Roosevelt nicht leiden konnte, und ein Streit hätte ihm jetzt gerade noch gefehlt.
»Warum seid ihr denn unter die Kunstsammler gegangen, Durin?«, meinte er.
»Vor vielen Jahrhunderten wurden Kunstwerke, insbesondere Ölgemälde, gerne benutzt, um von einer Welt in die andere zu wechseln. Genau genommen wurden einige der berühmtesten Stücke sogar eigens zu diesem Zweck in Auftrag gegeben. Die Decke der Sixtinischen Kapelle zum Beispiel …«
»Komm auf den Punkt, gute Frau«, rief Roosevelt.
Durin bedachte ihn mit einem ärgerlichen Blick. »Wärst du bitte so freundlich, dir diese Anrede zu verkneifen, Roosevelt? Außerdem bin ich ja gerade dabei. Seit der Trennung der Welten haben die meisten dieser Gemälde ihre Kraft verloren, Avi, und zwar schlicht und ergreifend aus dem Grund, dass sie zu oft betrachtet worden sind.«
»Was bedeutet das?«
»Wenn zu viele Menschen ein Bild anschauen, verkeilt sich die Tür darin mit dem Rahmen, bis sie sich irgendwann völlig schließt. Manchmal kommt es auch noch schlimmer.«
Hannah musterte ein großes Gemälde, das an der Wand lehnte. Es stellte eine ausschließlich in Blautönen gehaltene Frau dar. Die Winkel waren abstrakt, so dass es wirkte, als sähe man sie von allen Seiten.
»Das ist ein Picasso«, stellte sie fest.
»In der Tat«, bestätigte Durin. »Picasso hat den Großteil seines Lebens damit verbracht, sich ins Feenreich hineinzumalen. Wir haben dieses Bild in einem Kellerversteck unweit von Barcelona gefunden. Näher ist er dem Übergang nie gekommen. Halte die Hand dicht an das Bild und beschreibe, was du fühlst.«
Hannah gehorchte. »Es ist kalt!«, rief sie.
»Die Kälte des Déopnes «, deklamierte Roosevelt.
Hannah zog ruckartig die Hand zurück.
»Du hast allen Grund, dich vor dem Bild zu fürchten«, sprach Durin weiter. »Da die Welten sich einander annähern, gewinnen Werke wie dieses, denen früher nur Teilerfolge beschieden waren, wieder an Macht. Es ist eine unbezähmbare Kraft, die sich nicht bändigen lässt. Roosevelt und ich sammeln die Bilder aus Sicherheitsgründen. Es könnte zu einer Katastrophe kommen, wenn sie in die falschen Hände geraten.«
Avis Verzweiflung wurde von Begeisterung abgelöst. »Dann können wir also durch eines dieser Gemälde hinüberwechseln!«
Zu Avis Enttäuschung schüttelte Durin den Kopf. »Leider nein, Avi. Sie sind zu instabil. Du würdest mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ins Déopnes fallen, in die tiefe Schlucht.«
»In tiefer Schlucht«, murmelte Roosevelt, »hast leidend du geschmachtet für zwölf Jahr’; und während dieser Zeit ist sie gestorben.«
»Wer ist gestorben?«, fragte Avi.
»Das spielt keine Rolle«, erwiderte Durin. »Aber Kopf hoch, Avi. Es ist nämlich ein Bild entdeckt worden, das die Lösung deiner Probleme sein könnte, und zwar ein Porträt von Rubens. Es galt jahrelang als verschollen, bis man es im Gewölbekeller der National Gallery fand. Letzte Woche wurde es zum ersten Mal ausgestellt. Ich war bei der Enthüllungsfeier. Sobald ich es sah, wusste ich, dass es ungewöhnlich ist.«
»In welcher Weise?«
»Es stellt einen Seefahrer namens Henry Hudson dar, wie er, umgeben von nautischen Instrumenten, in seinem Studierzimmer steht. Hudsons Lebensgeschichte ist interessant. Anfang des siebzehnten Jahrhunderts wurde er nämlich von Meuterern im Nordpolargebiet auf offener See ausgesetzt und blieb verschollen.«
»Warum?«, wollte Avi wissen.
»Die Matrosen hatten bemerkt, dass er ein Goblin war.«
»Rubens hat einen Goblin gemalt?« Hannah konnte es kaum glauben.
»Er war darüber im Bilde«, antwortete Roosevelt, den Mund voller Leberpastete. »Im Spiegel erkennt man den Beweis.«
»In welchem Spiegel?«
»Dem Spiegel in dem
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