Brückenorakel Bd 2 - Weltenwanderer (German Edition)
hinaufgestiegen war und sich auf den Thron gesetzt hatte. Sein ganzer Körper hatte vibriert, als rings um ihn die Prophezeiung allmählich in Erfüllung ging.
Die beiden Welten hatten die ersten Schritte aufeinander zu gemacht.
»Avi«, meinte Hannah. »Hast du etwas?«
Der Klang ihrer Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. »Alles in Ordnung. Ich habe mich nur erinnert.« Er holte tief Luft.
»Por-pup-pop«, krächzte Pennie. Sie hatte sich unter Hannahs Jacke versteckt und wirkte verängstigt.
»Schaut, wen wir da haben!«, rief Brucie, worauf alle herumfuhren.
Quietschend öffnete sich eine Tür im hinteren Teil der Kapelle, und zwei alte Männer mit pockennarbigen Gesichtern kamen herein. Der eine trug ein rotes Gewand, der andere ein blaues. Sie sahen aus wie eineiige Zwillinge.
»Wo ist denn der dritte?«, raunte Hannah.
Den beiden Orakeln folgte ein kleines Kind. Das Kleine – Avi konnte nicht feststellen, ob es sich um einen Jungen oder um ein Mädchen handelte – trug einen weiten grünen Umhang. Nachdem es über den zu langen Saum gestolpert war, raffte es das Kleidungsstück, um sich mehr Bewegungsfreiheit zu verschaffen. Avi beobachtete verwirrt das Geschehen. Das Kleine hatte zwar das Äußere eines Kindes, zeigte aber keine Spur von kindlicher Lebhaftigkeit. Trotz seiner Jugend wirkte es so matt wie seine beiden Begleiter.
»Wir begrüßen dich, Erstgeborener der Prophezeiung«, verkündete das blaue Orakel.
»Allerdings behalten wir es uns vor, dich zu einem günstigeren Zeitpunkt richtig willkommen zu heißen«, fügte das rote Orakel hinzu.
»Ich freue mich auch, euch zu sehen«, erwiderte Avi und wies auf das Kind. »Was ist denn mit ihm passiert?«
»Das werden wir dir zu gegebener Stunde mitteilen«, entgegnete das blaue Orakel. »Zuerst jedoch verlangen wir von dir eine Erklärung dahingehend, welchem Umstand wir die Ehre deines Besuchs verdanken.«
Das rote Orakel warf den beiden Wächtern auf ihren Sockeln einen finsteren Blick zu. »Und weshalb unsere Diener dir geholfen haben, obwohl wir ihnen ausdrücklich verboten hatten, dir den Zutritt zum Feenreich zu gestatten.«
Mit einer ruckartigen Bewegung hob Durin einen riesigen Finger an die rauhen Lippen, als wolle er etwas sagen. Doch Roosevelt stieß ein grollendes Hüsteln aus, so dass er sich die Bemerkung verkniff.
»Sie haben mir geholfen, weil es ihre Pflicht war«, erwiderte Avi.
»Roosevelt«, sagte das rote Orakel, ohne auf ihn zu achten. »Dein Verhalten war unentschuldbar. Deine übertriebene Zuneigung zur Welt der Sterblichen hat dich eingelullt und verweichlicht.«
Roosevelt wand sich vor Verlegenheit auf seinem Sockel.
»Lasst ihn in Ruhe«, protestierte Avi. »Ohne ihn hätte ich es nie geschafft.«
Die beiden Orakel und das Kind in Grün blickten in Avis Richtung.
»Deine Beschützer sind dir treu ergeben«, meinte das blaue Orakel.
»Und wir würden es bevorzugen, wenn du auf ihren Rat hörst«, ergänzte das rote.
»Verzeiht, aber ich habe einen eigenen Willen«, antwortete Avi. »Jetzt bin ich hier, und ich werde erst wieder gehen, wenn ich mit Kellen fertig bin.«
Das rote Orakel zog eine schuppige Augenbraue hoch. »Wünschst du eine Audienz beim König der Goblins?«
»An eine Audienz hatte ich eigentlich nicht gedacht.«
Die beiden Orakel wechselten einige Worte. »Vielleicht gibt es ja einen gemeinsamen Weg, den wir alle beschreiten können«, meinte das blaue Orakel schließlich. »Möchtest du dich mit uns absprechen, Abkömmling der Arethusa?«
»Mir wäre es lieber, wenn ihr mich einfach Avi nennt.«
»Avi«, begann das blaue Orakel. »Möglicherweise ist unser Zusammentreffen eine schicksalhafte Begegnung. Kellen bereitet uns große Sorge. Seine Machenschaften haben schon immer nichts als Schwierigkeiten gebracht, inzwischen jedoch verursacht er großes Leid.«
Gleichzeitig wiesen sie auf das Kind in Grün. »Unser Bruder«, fuhr das rote Orakel fort und legte dem Kind die Hand auf den Scheitel, »ist davon betroffen.«
»Betroffen?«, meinte Hannah. »Darauf wäre ich nie gekommen. Er sieht aus wie ein Vierjähriger.«
»Kellen sucht nach Mitteln und Wegen, die beiden Welten zu vereinen. Seine Methoden sind gnadenlos, die Nebenwirkungen ein Graus – die Versuchsreihen mit Elfen zum Beispiel.«
»Ganz recht!«, rief Brucie, die auf Roosevelts Schulter saß und das Gespräch aufmerksam verfolgte. »Avi ist nicht der Einzige, der es Kellen heimzahlen will!«
»Noch schwerwiegender
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