Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brückenorakel Bd 2 - Weltenwanderer (German Edition)

Brückenorakel Bd 2 - Weltenwanderer (German Edition)

Titel: Brückenorakel Bd 2 - Weltenwanderer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Fairchild
Vom Netzwerk:
Boden ging, stieß er mit den Fußspitzen an etwas Weiches und Warmes. Das Tier, was immer es auch gewesen sein mochte, huschte quiekend davon. Mit trockenem Mund und klopfendem Herzen spähte Avi durch die zerrissenen Vorhänge und bemerkte zum ersten Mal die Gestalt, die da im Bett lag.
    Es war eine dunkelhäutige, ausgemergelte Frau. Ihr weites schwarzes Gewand bauschte sich zwar um sie wie brodelnde Tinte, konnte jedoch nicht verbergen, dass sie erbärmlich abgemagert war. Auf dem Kopf trug sie einen zarten, mit Edelsteinen besetzten silbernen Reif. Ihre Augen waren weit aufgerissen und die Augäpfel nach hinten gerollt, so dass man nur noch das Weiße sah.
    Das Scharren, das Avi gehört hatte, war ihr mühsames Atmen.
    »Mutter?«, sagte er und konnte nicht verhindern, dass seine Stimme zitterte.
    Sie rührte sich nicht, und er trat näher heran. Die Bettwäsche roch feucht und muffig. Gerade wollte Avi seine Mutter noch einmal ansprechen, als das rauhe Atmen verstummte. Die Haut auf seinen Armen und im Nacken prickelte.
    »Avi?«, flüsterte sie. »Bist du es?«
    »Ja«, antwortete er und steuerte weiter auf die Bettkante zu. »Ich bin hier.«
    Arethusas Augenlider flatterten. Dann drehten sich ihre Augäpfel in den Höhlen, bis ihr Blick den seinen traf. Ihr Lächeln erinnerte an das abscheuliche Grinsen eines Totenschädels. Was war mit ihr geschehen? Noch vor wenigen Monaten hatte sie stolz und hoch aufgerichtet dagestanden – vom Scheitel bis zur Sohle eine Königin.
    »Brucie hat gesagt, dass du kommen würdest.«
    So gerne Avi sie auch umarmt und getröstet hätte, stieß ihn die Vorstellung ab, ihre ausgedörrte Haut zu berühren. Also blieb er einfach stehen, während seine Gedanken wild durcheinanderwirbelten. Schließlich war er hier, um Orens Erinnerungsbuch zu holen, nicht um sich mit seiner Mutter zu versöhnen. So war das nicht geplant gewesen. Und dennoch empfand er Mitleid. Oder war das Liebe?
    Kurz hatte er das beunruhigende Gefühl zu fallen. Der Abgrund! Er stürzte wie ein Stein, den jemand in einen Teich geworfen hat. Als er über die knochige Hand seiner Mutter strich, spürte er einen elektrischen Schlag. Ihr Lächeln verschwand, und Bedauern stieg wie eine Welle in ihm auf. Plötzlich wehte Zugluft durch den Raum. Heile ich sie gerade?, fragte er sich. Aber das konnte nicht sein, denn diese Fähigkeit besaß er nur in der Welt der Sterblichen. Hier im Feenreich war er nichts Besonderes, eine Alltäglichkeit.
    Und trotzdem …
    Langsam und mit schmerzverzerrtem Gesicht setzte Arethusa sich auf.
    »Danke, dass du gekommen bist«, meinte sie. Ihre Stimme klang bereits kräftiger. Auch ihr Gesicht wirkte nicht mehr so eingefallen, und ihre Lippen röteten sich. »Dafür, dass du beschlossen hast, zu mir zurückzukehren.«
    Avi zögerte. Trotz seines Mitgefühls hatte sich an den Gründen seines Besuchs nichts geändert. Er musste offen zu ihr sein. Um seines Vaters willen.
    »Ich bin nicht deinetwegen hier«, erwiderte er.
    Arethusa zuckte zusammen, als hätte er sie geschlagen. Ihre Lippen wurden schmaler, so dass ihre Zähne auf einmal zu groß für ihren Mund zu sein schienen. »Das darfst du nicht sagen!«
    Avi drückte ihre Hand. »Es tut mir leid, dass du krank bist. Wenn ich etwas für dich tun kann, gerne. Aber …«
    »Aber du erwartest dafür eine Gegenleistung?«
    Er schüttelte den Kopf. So hatte er es sich nicht vorgestellt.
    »Heißt das, dass du nichts dafür verlangst?«, zischte Arethusa. »Oder dass du keine Lust hast, mir zu helfen?« Ihre Stimme klang wieder gepresst, und ihre magere Brust hob und senkte sich, begleitet von offensichtlichen Schmerzen.
    »Ich bin hier, um etwas zu holen.«
    Ohne auf ihn zu achten, begann sie, sich mühsam aus dem Bett aufzurappeln. Als ihr das gefältelte schwarze Kleid hochrutschte, kamen Beine so mager wie Stöckchen in Sicht. Von ihrer Schönheit und Haltung war nichts geblieben. Der Betthimmel erbebte, so dass Staub wie grauer Schnee zu Boden rieselte. Avi war machtlos dagegen, dass ihr Aussehen ihn anwiderte. Er wich zurück.
    »Hilf mir«, stieß sie hervor. »Bleibe. Ich will, dass du bleibst, Avi. Du musst nie wieder fort von hier. Es wird dir an nichts fehlen. Ich erlaube dir sogar, das Mädchen zu behalten, wenn du mich nur nicht verlässt.«
    »Es hat sich nichts verändert!«, rief Avi. Arethusa knickten die Beine weg, und sie stürzte mit einem Stöhnen vornüber. Unwillkürlich machte Avi einen Schritt vorwärts, aber als er

Weitere Kostenlose Bücher