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Brückenorakel Bd 2 - Weltenwanderer (German Edition)

Brückenorakel Bd 2 - Weltenwanderer (German Edition)

Titel: Brückenorakel Bd 2 - Weltenwanderer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Fairchild
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geändert. Die Flut kommt immer noch!«
    Ohne auf die Kapriolen seines Vaters zu achten, schritt Avi den Umfang der Insel ab.
    »Also wird die Insel immer kleiner?«
    »Tag für Tag«, erwiderte Oren. »Stunde für Stunde. Minute für Minute. Sekunde …«
    »Schon gut, ich verstehe.«
    Oren setzte sich mit einem Grunzen.
    Avi wollte ihn schon fragen, warum die Insel schrumpfte, doch dann fiel ihm ein, dass er die Antwort bereits kannte. Er erinnerte sich an die Worte des Orakels, das Déopnes werde durch Kellens Machenschaften immer kleiner. Avi hatte eine weitere Folge bereits mit eigenen Augen gesehen: die Rückentwicklung des grünen Orakels zum Säugling.
    »Was passiert, wenn sie ganz verschwindet?«, sagte er, eher zu sich selbst.
    »Wir schwimmen«, meinte Oren. »Und dann ertrinken wir.«
    Erschöpft ließ Avi sich in den Sand fallen. An diesem Tag war bereits so viel geschehen, dass er nichts mehr aufnehmen konnte. Also hörte er auf, stark sein zu wollen, und lehnte sich an seinen Vater. Ihn zu spüren, fühlte sich an, als hätte er eine Ziellinie überquert.
    Nur, dass er noch längst nicht am Ziel war. Er hatte Hannah etwas versprochen und war deshalb fest entschlossen, nicht dem Beispiel seines Vaters zu folgen und aufzugeben. Morgen würde er wieder losschwimmen. Und diesmal würde er sich stärker ins Zeug legen.
    Schließlich hatte er es schon bis hierher geschafft.
    Was auch immer geschah, er würde auf keinen Fall so enden wie Oren oder die armen Seelen, die er im Wasser hatte treiben sehen.
    Die Sonne näherte sich in einem Bogen dem Horizont, und Avi beobachtete, dass sein und Orens Schatten immer länger wurden. Die Wellen krochen Zentimeter um Zentimeter den Strand hinauf.
    Wie lange noch, bis die Insel völlig versank? Wie viel Zeit blieb dieser Welt?
    Avi ließ den Gedanken an die schreckliche Wahrheit zu, der mit derselben Unerbittlichkeit an die Tür seines Verstandes klopfte, mit der die Wellen an den Strand schlugen: Es lag durchaus im Bereich des Möglichen, dass er Hannah niemals wiedersah.

Kapitel 28
    A vi stürzt in den Abgrund. Der Abgrund pulsiert wie der Schlund eines unvorstellbar gewaltigen Ungeheuers. Die Schwerkraft hier ist so stark, dass man nicht anders kann, als sie wahrzunehmen. Aber Avi hat Flügel.
    Er bewegt sie. Feuchte Luft streicht über ihre glatte Oberfläche. Er fliegt zwischen den Welten.
    Weit unter sich bemerkt er einen winzigen Punkt. Er zieht die Flügel ein und lässt sich darauf zu fallen. Der Punkt wird größer, und er dreht sich um die eigene Achse.
    Der Punkt ist sein Vater.
    Gerade berührt Avi Orens Hand, als der Abgrund schluckt. Eine riesige Schockwelle lässt die Luft erbeben, und sie werden auseinandergerissen. Oren trudelt in die Tiefe. Avi stürzt sich hinterher, aber sein Vater ist zu schnell. Todesangst steht ihm ins schmale Koboldgesicht geschrieben. Er schrumpft, bis er an ein Stück Distelwolle erinnert, das im Wind weht.
    Der Abgrund tut sich noch weiter auf, und Avis Vater ist fort.

    Als Avi erwachte, war er schweißgebadet, und Sand klebte an seinem Körper. Ein Schrei stieg in seiner Kehle hoch, den er zum Glück unterdrücken konnte. Er setzte sich auf. In der warmen Luft trocknete sein Schweiß rasch.
    Er spuckte Sand aus, und ihm fiel wieder ein, wo er sich befand.
    Er ging zum Ufer und pinkelte ins Meer. Es war Nacht. Das Wasser wirkte ölig und schwarz. In der Ferne bemerkte er leuchtende Punkte, die aussahen wie ertrinkende Glühwürmchen. Die Wellen schwappten sanft an den Strand, als hätten sie ihre gestrige Wut vergessen.
    Nachdem Avi fertig war, schlenderte er am Ufer entlang. Er war zwar nur mit dem dünnen Gewand bekleidet, das man unter einem Kettenhemd trug, doch da es mild war, fror er nicht. Im Sand waren weder Muscheln noch Seetang zu entdecken. Also kein Paradies für Muschelsammler. War die Insel bereits kleiner geworden? In der Dunkelheit war das unmöglich festzustellen.
    Der Himmel über ihm war pechschwarz. Kein Stern war zu sehen. Erschaudernd vor Grauen schlang Avi die Arme um den Leib. Welcher Teufel hatte ihn bloß geritten?
    »Seelen«, raunte da eine Stimme dicht an seinem Ohr.
    Avi machte einen Satz. Er hatte Oren nicht kommen gehört.
    »Seelen?«, wiederholte er.
    »Wir sind nicht allein auf dieser Insel. Viele Seelen gehen im Déopnes verloren. Bald werden wir sein wie sie. In unserem Element. Aber man kann nicht voraussagen, in welchem.«
    Avi war ein wenig ratlos. »Element? Wie Wasserstoff,

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