Brückenorakel Bd 2 - Weltenwanderer (German Edition)
zu ihm hinaufheulten. Ihre Augen waren stumpf und schwarz, aus ihren aufgerissenen Mündern quollen bebende Tentakel wie die Fangarme einer Seeanemone.
Nach Luft schnappend tauchte Avi auf und wurde von Panik ergriffen, als er Hannah nirgendwo entdecken konnte. Er rief ihren Namen, hörte seine Stimme aber nur in seinem eigenen Kopf, weil der Wind, der ihn beutelte, jedes Geräusch wegriss. »Wo bist du?«, schrie er. Da sie eine gute Schwimmerin war, war sie sicher noch nicht untergegangen. Inzwischen war das Wasser kälter geworden, und Avi begann zu frieren. Als er glaubte, das Schiff zu erkennen, hielt er darauf zu, da er wusste, dass Hannah dasselbe tun würde. Zwischen den Atemzügen rief er weiter nach ihr, wurde jedoch allmählich heiser. Erneut sah er das Schiff, aber es wandte bereits den Bug ab und drehte bei. Es hatte keinen Sinn. Er würde ertrinken.
Inzwischen kam es Avi nur noch darauf an, Hannah zu finden, um wenigstens ihre Hand halten zu können, wenn sie gemeinsam untergingen – ein kleiner Trost für sie beide.
Entscheide dich für ein Element, dachte er. Welches soll es sein?
Etwas prallte gegen sein Gesicht. Er schlug danach, worauf der Gegenstand ihn erneut traf. Da Avi mit einem riesigen Oktopus oder einem rachsüchtigen Meeresgott rechnete, begann er, wild mit den Armen zu rudern.
Aber es war keines von beidem, sondern ein Seil, das einfach vom Himmel herabhing.
Avi griff danach, ohne sich die Frage zu stellen, woher es kam oder was ihn am anderen Ende erwartete. Es war ihm auch gleichgültig, dass es dieses Seil streng genommen gar nicht hätte geben dürfen. Stattdessen wickelte er sich das Ende um die Handgelenke und hängte sich daran. Zu seinem Erstaunen wurde er langsam aus dem Wasser gezogen. Die Wellen peitschten ihn mit dumpfem Klatschen. Sterne blitzten in seinen Augenwinkeln auf, und er befürchtete schon, er könnte das Bewusstsein verlieren.
Doch es gelang ihm, sich festzuhalten.
Das Seil hob ihn hinauf in den Himmel, der dunkel und von Horizont zu Horizont mit düsteren Wolken bedeckt war. Donner grollte. Das Seil baumelte an einer schwarzen Masse, die Avi im trüben Wetter kaum ausmachen konnte, denn die Tarnung war beinahe vollkommen. Das Wesen hatte breite, dreieckige Flügel, die langsam und beharrlich schlugen. Avi hörte nichts als das Tosen des Meeres und das Brausen des Unwetters.
Als er das Wasser endlich hinter sich hatte und in der Luft hing, ließ das Dröhnen kurz nach, und eine Stimme drang an sein Ohr. Sie kam von dem geflügelten Geschöpf, das ihn gerettet hatte.
»Pop!«, sagte die Stimme. »Por-pennie-da-pannah-pavi-pop!«
Kapitel 29
E ine gewaltige Woge streckte sich nach ihm aus wie eine zugreifende Hand. Sie war voller schreiender Gesichter. Als Avi austrat, spürte er, wie sein Fuß in etwas Schmatzendem und Knirschendem versank. Im nächsten Moment wich das Meer zurück, und Avi schwang heftig hin und her. Das nasse Seil grub sich in seine Haut.
Ein Blitz zuckte. Sein Licht beleuchtete kurz das Pennapor, das viel größer war, als Avi es in Erinnerung hatte, und aussah wie eine riesige Fledermaus. Das Geschöpf drehte sich um die eigene Achse, so dass Avi in einem weiten Bogen herumgeschwungen wurde.
Dann ließ es los.
Mit einem Aufschrei stürzte er ab und klammerte sich weiter an das Seil. Warum hatte Pennie ihn gerettet, nur um ihn wieder ins Wasser zu werfen? Da aber landete er auf einem harten Untergrund. Die Beine gaben ihm nach, und er stürzte mit einem dumpfen Knall auf Holzbohlen. Nach Atem ringend und in das Seil gewickelt, blieb er liegen.
Im nächsten Moment kippte die Fläche zur Seite, so dass er ins Rollen geriet. Um ihn herum schwappten Wasserlachen.
»Halt dich fest!«, rief eine vertraute Stimme. Eine Hand legte sich um seine, und er wurde auf die Füße gezogen. Hannah war klatschnass und wirkte gleichzeitig verängstigt und von Aufregung ergriffen. »Gib das Seil her!«
»Was?« Er musste schreien, um das Toben des Sturms und das Knirschen des Holzes ringsherum zu übertönen.
»Das Seil! Damit sie deinen Vater holen kann.«
Als Avi aufblickte, stellte er fest, dass Pennie direkt über ihnen schwebte und wegen des starken Windes Mühe hatte, sich auf der Stelle zu halten. Nachdem er sich das Seil vom Handgelenk gewickelt hatte, schoss das Pennapor auf ihn herunter, schnappte danach und verschwand.
Er befand sich auf einem rissigen Deck aus Holz, das stetig hin- und herschaukelte. Auf beiden Seiten verlief eine
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