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Brückenorakel Bd 2 - Weltenwanderer (German Edition)

Brückenorakel Bd 2 - Weltenwanderer (German Edition)

Titel: Brückenorakel Bd 2 - Weltenwanderer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Fairchild
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böigen Wind.
    »Wir schaffen es!«, jubelte Hannah.
    Während sie den Strudel passierten, spürte Avi seine Sogkraft am ganzen Körper. Der Wind hatte aufgefrischt und verhinderte, dass sie in das Loch hinabgezogen wurden. Im nächsten Moment hingen wieder düstere Gewitterwolken über ihnen. Die Sonne huschte über den Himmel und schien das Schiff vom Strudel wegzulocken. Am östlichen Horizont kam ein golden leuchtender Streifen in Sicht, so als würde gleich der Morgen grauen. Das Schiff bäumte sich auf und raste darauf zu. In ihrem Rücken grollte wütend der Donner. Hannah wirkte erschöpft, offenbar konnte sie sich kaum noch auf den Beinen halten.
    Da erschien Oren, der auf allen vieren über das Deck zur Brücke gekrochen war, an der Treppe. Er hatte nur noch ein paar Lumpen am Leib, und sein Bart und sein langes Haar waren durchweicht. Doch sein Blick war so klar, wie Avi es seit seiner Ankunft im Déopnes nicht erlebt hatte.
    Vor ihnen war im goldenen Licht eine Küste zu erkennen. Gelber Sand hob sich von der weißen Brandung ab. Hinter geschwungenen grünen Hügeln ragten violette Berge auf. Die hohen Türme einer prächtigen Stadt schienen fast bis zum strahlenden Himmel zu reichen. Es war, als winke das Land sie heran – ein sicherer Hafen und gewiss die einzige Möglichkeit, diesen schrecklichen Ort zu verlassen.
    »Es ist wunderschön«, sagte Hannah, und auch Avi glaubte, noch nie etwas Einladenderes gesehen zu haben. Über ihnen lockerten die Wolken auf. Das Schiff schwankte nicht mehr, sondern glitt durch ruhige Gewässer. Als Avi sich umschaute, stellte er fest, dass hinter ihnen noch immer der Sturm lauerte wie eine Wand aus Stahl. Es blitzte weiter, und der Ozean wirbelte im Kreis herum. Aber das war nun Vergangenheit. Sie waren dem Unheil entronnen.
    »Dreh um«, wies Oren ihn da plötzlich an.
    »Im Leben nicht«, entgegnete Avi und umfasste das Steuer. »Wir haben es geschafft.«
    »Das will man uns nur weismachen.«
    Inzwischen waren sie ziemlich dicht an der Küste. Die Türme fügten sich zu einer vertrauten Silhouette zusammen. Avi erkannte die Umrisse des Westminster Palace und den gedrungenen Tower.
    »Schau!«, rief Hannah und zeigte auf ein Riesenrad, das sich langsam im Sonnenlicht drehte. »Das London Eye!«
    Es war London, und zwar das London des Feenreichs und das der Welt der Sterblichen vereint. Reihen strohgedeckter Katen standen friedlich neben funkelnden Wolkenkratzern.
    »Gleich sind wir da«, sagte Avi.
    »Dreh um«, beharrte Oren.
    Hinter ihnen war das Unwetter hinter einer gewaltigen Nebelbank verschwunden. Es war, als hätte das Déopnes aufgehört zu existieren.
    »Aber wir sind doch entkommen«, protestierte Avi. »Wir haben die Zwischenwelt verlassen.«
    »Dreh das Steuer herum, Avi. Du musst wenden.«
    Avi betrachtete die Stadt. Sie strahlte Geborgenheit aus und funkelte verführerisch. Wie eine Heimat. Er spürte, dass seine Hände die Messinggriffe fester umfassten.
    »Avi, was machst du da?«, fragte Hannah. »Willst du etwa wirklich umkehren?«
    »Wir sind noch immer im Déopnes «, beteuerte Oren. »Avi, du musst mir vertrauen.«
    »Der spinnt ja«, entgegnete Hannah. »Nach der langen Zeit auf der Insel tickt er nicht mehr richtig.«
    Avi wandte den Blick von der Stadt ab und sah seinem Vater tief in die Augen.
    »Hannah, lass das Steuer los«, sagte er.
    Sie verzog zwar unwillig das Gesicht, gab jedoch nach. »Bist du sicher, dass du weißt, was du tust?«
    »Eigentlich nicht. Aber mein Vater weiß es.«
    Hannah nahm die Hände vom Steuer und trat beiseite. Avi hielt den Kurs noch ein paar Sekunden, dann drehte er das Steuer entschlossen nach backbord, so dass London rechts an ihnen vorbeiglitt. Einen kurzen Moment hatten sie das offene Meer vor Augen, dann erhob sich die Nebelbank vor ihnen, und zwar näher, als sie hätte sein sollen. Ehe Avi Gelegenheit hatte, an seiner Entscheidung zu zweifeln, wurden sie schon von feuchtkalter Luft eingehüllt. Die Brise verebbte, die Segel erschlafften. Nur das sanfte Schwappen der Wellen gegen den Rumpf und das leise Knirschen der verwitterten Holzbohlen waren zu hören.
    Es wurde immer kälter. Obwohl sie alle froren, verlor niemand ein Wort darüber. Nichts rührte sich. Das Schiff lag unter einer erdrückenden grauen Decke und bewegte sich nicht von der Stelle.
    Avi fühlte sich taub und benommen, außerdem schien die Verbindung zwischen Körper und Verstand gekappt worden zu sein. Er wollte nur noch schlafen und

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