Brüder der Drachen
krallenbewehrten Fußes, der sich langsam über das Dach bewegte, unendlich langsam, und trotzdem unaufhaltsam. Das Wesen, das zu dem Fuß gehörte, nahm in ihrem Traum Gestalt an: ein menschenähnlicher Körper, doch mit horniger Haut und unmenschlichen Klauen, wo Hände und Füße sein sollten. Dunkle ledrige Schwingen ragten drohend über den Umriss des Körpers hinaus und beschatteten das Gesicht, sodass nur das rote Leuchten der Augen zu sehen war. Ein weiteres Kratzen. Das Wesen näherte sich dem Rand des Daches, genau über ihrem Fenster.
»Kein Grund zur Sorge. Nur Strohechsen. Schlaf ruhig weiter«, sagte sie sich.
Sagte sie sich? Nein! Sie erkannte die Stimme wieder, die sich schon einmal in ihre Gedanken gedrängt hatte – die Stimme, die aus den Augen des geflügelten Dämons gekommen war. Plötzlich war sie hellwach. Ihr Zimmer war finster, nichts war zu hören. Nur ein kleiner Strahl von Eril-Firions Licht drang durch eine Ritze ihres Fensterladens, spendete gerade genug Licht, um die Umrisse des Zimmers schemenhaft erkennen zu lassen. Alles schien in bester Ordnung zu sein, tief in sich fühlte Danira jedoch, dass irgendetwas falsch war. Irgendetwas Böses war nahe, etwas, das nicht in diese Welt gehörte.
Sie verharrte regungslos und blickte gebannt zu dem geschlossenen Fenster, unfähig sich zu bewegen, obwohl ihr Körper danach schrie wegzulaufen, weg von der namenlosen Bedrohung hinter dem Fensterladen. Sie spürte das Schwert in ihrer Hand und führte langsam die Linke an die Scheide. Ein Schatten schob sich vor den hellen Spalt, der die einzige Lichtquelle gewesen war. Völlige Dunkelheit umhüllte sie – sie wusste, es war soweit.
Daniras Schwert flog aus der Scheide im gleichen Moment, als der Fensterladen zerbarst. Sie hörte kaum das Splittern des Holzes, hörte kaum ihren eigenen Schrei, den sie in ihrem Entsetzen ausstieß. Das Wesen drängte sich durch das Fenster, verdunkelte die Sterne und das Licht Eril-Firions, die für einen Moment sichtbar gewesen waren. Trotzdem war es nicht völlig dunkel im Zimmer. Erstaunt sah Danira, dass von ihrem Schwert ein schwaches Leuchten ausging. Sie riss ihren Blick von der Waffe und richtete ihn auf ihren Gegner. Es war ein riesenhaftes Geschöpf, viel größer als das kleine Flugwesen, das vor zwei Nächten bei ihr gewesen war, größer sogar als ein erwachsener Mann. Rote, leuchtende Augen blickten auf das Mädchen hinunter.
*
Erfüllt von einer bangen Erwartung sah Loridan zum Himmel empor, an dem unzählbare Sterne hell gegen das absolute Schwarz des Firmaments funkelten. Carallas leuchtendes Band breitete sich von Horizont zu Horizont über den Himmel aus. Eril-Firion und Eril-Angoth hatten sich noch nicht weit über die Wipfel der Bäume im Osten gehoben – die Nacht war noch jung. Gemeinsam mit Herubald saß Loridan ein wenig abseits des Lagerfeuers, über dem Jandaldon eine Sandechse briet, die die Drachenritter ihm als Geschenk mitgebracht hatten.
Unwillkürlich wurde Loridans Blick von den beiden Wanderern angezogen. Sie hatten sich einander in den letzten Wochen immer weiter genähert. Die Gelehrten sagten, dass die beiden Himmelslichter sich im Herbst dieses Jahres berühren würden, und dann würde der ewige Kampf zwischen Firion und Thaur-Angoth einen neuen Höhepunkt erreichen.
»Bist du dir sicher, dass wir das Richtige tun?« Herubalds Stimme riss Loridan aus seinen Gedanken.
»Ich tue, was ich tun muss«, erwiderte der junge Ritter. »Du hättest nicht mitzukommen brauchen.«
»Doch, ich musste mitkommen. Wir sind Brüder, hast du das vergessen?«
»Nein, ich habe es nicht vergessen.« Loridan sah Herubald schweigend an, bis dieser den Blick erwiderte. »Mein Leben für dein Leben. Mein Schwert für meinen Bruder – das haben wir uns geschworen. Aber du weißt, wie viel es mir bedeutet, heute Nacht hier an diesem Ort zu sein. Wir haben die Gelegenheit, uns einem Drachen zu nähern, ohne dass es zu einem Kampf kommt.«
»Hoffentlich behältst du recht.« Herubald blickte nachdenklich in die Flammen des Feuers. »Seregon und Carilon wurden auch angegriffen, obwohl Jandaldon in der Nähe war. Und ein Kampf im Dunkeln ist gefährlich – sehr gefährlich.«
»Verzeiht, wenn ich Euch unterbreche«, sagte Jandaldon. »Mir scheint, dass der Braten nun fertig ist. Lasst uns essen.«
Der Sänger nahm den Bratspieß vom Feuer und zerteilte geschickt das gebratene Fleisch in mehrere Stücke, die er den beiden Rittern anbot.
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