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Brüder der Drachen

Brüder der Drachen

Titel: Brüder der Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Weissbecker
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schien. Trotzdem war er ruhig und unbewegt, ein Quell der Macht, der darauf wartete, sich in einer reißenden Flut zu ergießen. Erneut schloss Danira die Augen, um sich auf Jandaldon zu konzentrieren, doch sie ahnte, dass sie den Sänger nicht finden konnte, dem sie nie zuvor begegnet war.
    Selina dachte an Jandaldon zurück, so wie sie ihn das erste Mal gesehen hatte. Ein Wunder war er für sie gewesen – der erste Mensch, dem sie begegnet war, nachdem ihre Eltern vor langer Zeit gestorben waren. Er hatte ihr Erinnerungen zurückgebracht, die tief in ihr geschlummert hatten, unentdeckt und unerahnt in all den Jahren, die sie unter den Drachen gelebt hatte. So hatte sie die Sprache wiedergefunden, mit der die Menschen sich verständigten.
    Plötzlich durchfluteten neue Eindrücke Selinas Geist, als sei eine Tür zu einer weit entfernten Welt geöffnet worden. Etwas Vertrautes spürte sie, das sie an Jandaldon erinnerte. Hatte sie ihn wirklich gefunden? Der Kontakt drohte ihr zu entgleiten, denn eine unsichtbare Barriere schien den Sänger zu umgeben, eine unüberwindliche Wand aus purer Energie. Einen Moment glaubte Selina zu fallen, als ihr Geist von der Barriere abglitt und in eine unermessliche Leere hinausgriff. Dann fühlte sie sich plötzlich von einer Macht durchströmt, die von einer unbekannten Quelle in sie einfloss.
    Nein – sie erkannte jetzt den Ursprung der Kraft. Sie erinnerte sich für einen Moment daran, dass sie einen Körper besaß, der an einem Tisch in einem kleinen Gasthaus saß. Und die Quelle der Macht saß neben ihr und hielt ihre Hand umfasst: Timon war es, oder Gerugrim, der Magier. Es gelang ihr, die Macht zu bündeln, die durch ihre Hand in sie einströmte, und der Strahl ihres Geistes durchdrang die fremde Barriere, die ihr zuvor undurchdringlich erschienen war. Wieder vergaß sie ihre Umgebung, denn die Empfindungen, die sie durchströmten, konnten keinem materiellen Körper entstammen. Sie fühlte sich brennen, während sie in einem unermesslichen Ozean ertrank. Sie fühlte den Wind, den Sturm, der ihre Seele vor sich hertrieb, obwohl sie in einem Grab aus Steinen und Erde ruhte. Und sie fühlte die Kälte des Eises, die alles erstarren ließ.
    Dann, in all den Gefühlen, die auf sie einstürmten, sah sie Jandaldon. Der Sänger war ein Teil des Chaos, er war Feuer und Wasser, war Luft und Stein – und er war erstarrt in einem Eis, das keinen Frühling kannte. Mit einem erschreckten Aufschrei kehrten Selinas Empfindungen zurück in das düstere Zimmer, und sie sah die Gesichter ihrer Gefährten, die sie voller Schrecken und Besorgnis ansahen.
    »Was ist geschehen?«, fragte Loridan, und er entließ die Hände von Danira und Timon aus seinem Griff, als er aufstand, um an seine Gefährtin heranzutreten.
    »Ich habe ihn gesehen.« Selina erhob sich und überließ sich der Umarmung des Ritters. »Er … er ist in furchtbarer Gefahr. Zumindest glaube ich das.«
    »Aber wo ist er?«, fragte Timon. »Das ist die Frage, deren Antwort wir suchen.«
    »Er ist im Süden«, sagte Selina. »Doch ich ahne nicht, wie weit er entfernt sein mag.«
    »Egal, wie weit er entfernt ist«, erwiderte Loridan. »Wir müssen ihn suchen.«
    »Ja, das müssen wir«, bestätigte Timon. »Und wir müssen ihn finden, denn die Zeit läuft uns davon. Gleich morgen sollten wir aufbrechen.«
    *
    Die blau-weißen Fahnen von Car-Dhiorath flatterten in dem frischen Wind, der von der See heranwehte. Trotzig zeigten sie das Symbol der Stadt – ein weißes Schiff vor den Wellen des Meeres – auch wenn die stolze Flotte des Fürsten nun besiegt war oder zerstreut. Die Soldaten, die auf den Wehrgängen patrouillierten, blickten kaum noch hinaus auf das Heer, das vor den Toren der Stadt lag. Schon vier Wochen dauerte die Belagerung von Car-Dhiorath nun an, und in der Stadt war inzwischen fast wieder die übliche Routine eingekehrt. Kinder spielten in den Straßen, Frauen trugen in Körben ihre Einkäufe nach Hause, und alte Männer saßen vor ihren Häusern, um mit ihren Nachbarn zu schwatzen.
    Hoch über der Stadt, am Fenster des höchsten Turms, stand Parvis, der Bruder des Fürsten, und sein Blick war düster und besorgt. Er wusste, dass der Zustand der Stadt alles andere als normal war. Feindliche Schiffe lagen vor dem Hafen und hinderten die Fischer daran, ihrer Tätigkeit nachzugehen, und im Umland der Stadt lagerten starke Truppeneinheiten, die alle Wege kontrollierten. Car-Dhiorath war abgeschnitten vom Rest der

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