Brüder der Drachen
Welt, und es war nur eine Frage der Zeit, wie lange die Vorräte in den Lagern reichen würden, um alle Bürger zu versorgen.
Im Licht der Abenddämmerung sah Parvis die Reihen der Zelte, die sich an den Hang eines nahen Hügels schmiegten. Bunte Fahnen und Wimpel flatterten über ihnen, viele von ihnen rostrot, denn dies stand für Gweregon, den König des Ostreiches. Die restlichen Zelte waren in Grün und Weiß beflaggt, den Farben von Fürst Istaron. Parvis fragte sich, wie lange die Stadt der Belagerung noch standhalten musste. Fast wünschte er, dass das feindliche Heer den Angriff beginnen würde, denn dann würde es endlich zu einer Entscheidung kommen – Mann gegen Mann und Schwert gegen Schwert. Die Belagerer hatten allerdings keinen Grund zur Eile. Sie kontrollierten das Meer und das Umland der Stadt, und dort fanden sie Fisch, Fleisch und die Früchte des Feldes im Überfluss. Aus dem Norden gab es keine Nachrichten, und Parvis hatte die Hoffnung aufgegeben, dass von dort ein Heer kommen würde, um Car-Dhiorath zu helfen. Vielleicht waren die Mauern von Car-Osidia längst erstürmt, und die Tarth-Echsen nährten sich vom Fleisch der Gefallenen.
Düstere Ahnungen stiegen in Parvis auf, als er seinen Blick dem Horizont zuwandte. Der westliche Himmel hatte sich rot und golden gefärbt wie Feuer und Blut. Wie ein Zeichen von Krieg und Vernichtung lag das Abendrot über der Stadt und leuchtete auf den Türmen und Mauern. Car-Dhiorath stand vor einer schweren Probe. Wenn alle anderen Hoffnungen scheiterten, dann würde sich das Heer der Stadt einen Weg durch den Ring der Belagerer kämpfen müssen. Es wäre ein Akt der Verzweiflung – und doch, die Belagerer würden es deutlich schwerer haben, wenn sie eine große Zahl von Verwundeten zu versorgen hätten. Aber warum griff Istaron nicht an? Wollte er ein Gemetzel verhindern, oder wartete er vielleicht auf weitere Truppen, die seinen Sieg noch vernichtender machen würden? Viel Zeit verbrachte Parvis damit, auf das feindliche Lager hinauszusehen, so als ob er über die Entfernung hinweg in das Herz seines Feindes blicken könnte.
Und dort, vor einem der grün-weißen Zelte, stand Istaron, genauso nachdenklich wie sein Widersacher in der nahen Stadt. Um ihn herum waren die Zelte seiner treuesten Ritter, und dicht bei ihm standen die Gardisten seiner Leibwache, alle in grün-weiße Waffenröcke gekleidet. Aus dem Zeltlager waren die üblichen Geräusche zu hören – von rauen Stimmen gesungene Soldatenlieder, der Schwerterklang von Übungskämpfen und die klagenden Laute der Craith-Echsen – trotzdem war Istaron sich der steigenden Unruhe seine Männer bewusst. Zu lange dauerte die Belagerung nun schon an, und die Moral der Soldaten war auf einen Tiefpunkt gesunken. Auch die täglichen Patrouillen und Jagdausflüge konnten die Eintönigkeit des Lagerlebens nicht mehr mildern. Die Soldaten hatten Angst, das wusste Istaron, denn die Bedrohung durch die schrecklichen Dämonen hing wie eine dunkle Ahnung über ihnen.
Auch der Fürst war erfüllt von ernsten Befürchtungen, doch er hatte andere Gründe als seine Soldaten. Der Angriff auf Car-Dhiorath hatte zu gut begonnen. Die Wachposten der Verteidiger waren überwunden worden, und sogar die Flotte von Fürst Navaris hatte das Anlanden der Angreifer nicht verhindern können. Unter den wenigen gefangenen Feinden gab es Gerüchte über Dämonen, die die Wachposten und die Schiffe angegriffen hatten. Istaron selbst hatte einen der Aussichtsposten inspiziert. Blut war dort vergossen worden, in einem weiten Umkreis hatte er jedoch keine Leichen gefunden. Wer also hatte dort gekämpft? Der Fürst war mit der Flotte in der Nähe von Car-Dhiorath gelandet – trotz Dunkelheit und widriger Bedingungen. Obwohl der Plan ihm wie Wahnsinn erschienen war, hatte er sich an die Befehle des Königs gehalten.
Offensichtlich hatte Gweregon aber noch Geheimnisse gehabt, von denen selbst seine Heerführer nichts wussten. Es erschien völlig rätselhaft, wie der Aussichtsposten überwunden worden war. Durch ein geheimes Kommandounternehmen? Durch Verrat? Oder wirklich durch Dämonen? Istaron erinnerte sich an den Brief, den er von Eldilion erhalten hatte, noch bevor er zu diesem Feldzug aufgebrochen war. Vor einer dunklen Verschwörung hatte der Meister der Drachenritter ihn gewarnt, vor Machenschaften, in die Angbold verstrickt war und die den Mächten der Finsternis dienten. Der König hatte allerdings die Drachenritter
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