Brüder der Drachen
erlöschen könnte. Immer noch war der Sturmwind nicht besiegt, der in ihren Ohren dröhnte und ihre Augen tränen ließ.
Ein Schemen bewegte sich vor ihr, und Danira schritt voran, um sich mit ihrem vermeintlichen Gefährten zu vereinen. Erst einige Augenblicke später erkannte sie, dass es keiner der anderen Auserwählten war, sondern eine unwirkliche Gestalt, körperlos und dennoch massiv – ein Schatten, ein Nebel, gebildet aus einem Strudel der Elemente. Impulsiv wollte Danira nach ihrem Schwert fassen, doch sobald ihre Rechte sich von der Rune löste, spürte sie, wie sie die Kontrolle über den Fluss der Magie verlor. Feuer loderte um sie herum, und fast wäre sie in Panik geraten, als plötzlich eine Kraft in ihr erwachte, die ihr vertraut erschien, sie aber in dem Moment doch überraschte. Der Drachenzauber, den sie viele Tage vergeblich in sich gesucht hatte, war nun plötzlich aus seinem Versteck herausgekommen. Trotz ihrer Überraschung gewann sie schnell wieder die Kontrolle über sich. Sie wusste, dass das Feuer keine Gefahr für sie war, dass sie es beherrschen konnte. Entschlossen konzentrierte sie sich wieder darauf, die Macht der Rune mit der elementaren Kraft von Ul’ur in der Waage zu halten. Sie verdrängte den Gedanken an ihr Schwert und wandte sich wieder der bedrohlichen Gestalt zu. In dem Strudel leuchteten zwei Augen, wie Feuer und Eis zugleich, doch sie waren nicht auf Danira gerichtet. Vor Ul’ur stand Melia, klein und gebeugt.
»Rhyn aldan d’dun! Rhyn elyr niël!« Die Stimme der alten Frau zitterte, als sie die Worte sprach. Obwohl ein schwaches Leuchten in der Rune erwachte, dröhnte die Macht des Windes unvermindert weiter. Danira schrie laut auf, als Ul’ur seine Hand nach Melia ausstreckte. Sie versuchte, zu der alten Frau zu laufen, ihre Füße fanden jedoch keinen Halt in dem strukturlosen Boden. Und dann sah Danira schwache Lichter aus dem Nebel auftauchen, Lichter, die die Formen von Runen hatten. Es waren Timon, Selina und Loridan, die sich ihr näherten.
»Schnell, weiter«, sagte Timon. »Wir müssen Ul’ur aufhalten.«
Gemeinsam schritten die Gefährten voran, die vier Runen vor sich ausgestreckt. Jetzt erst lenkte sich der Blick der unheimlichen Gestalt auf sie.
»Ihr seid nun in meinem Reich, und nichts kann euch noch retten.« Die mächtige Stimme übertönte das Tosen des Sturms. »Und dieses Spielzeug wird euch nichts nützen.«
Ul’ur zeigte mit einem Finger auf Melia, die entkräftet auf ihre Knie sank. Die Rune entglitt ihrer Hand und fiel vor Ul’urs Füße, der sich bückte, um sie aufzunehmen. Seine Hand umfasste das Zaubersymbol, die gewaltigen Muskeln seiner Arme spannten sich an. Anstrengung spiegelte sich in seinem Gesicht, das wie aus schwarzem Stein gemeißelt erschien und von Blitzen gekrönt war. Endlich ließ er die Rune mit einem unterdrückten Keuchen wieder fallen. Kurz darauf flackerten seine Augen und erloschen, seine Gestalt löste sich im Nebel auf. Zurück blieb nur die alte Frau, die reglos am Boden lag.
»Melia, wie geht es dir?« Loridan beugte sich über die Bewahrerin, und seine Stimme zeugte von tiefer Sorge.
»Der Sänger … du musst den Sänger finden«, flüsterte Melia.
»Das werde ich. Nun müssen wir erst für dich sorgen.«
»Nein. Ul’ur hat mich berührt, und ich schwinde dahin. Bitte, sucht Jandaldon. Dies ist alles, was nun von Bedeutung ist.«
»Aber wir können dir helfen. Die Fain-Rune besitzt heilende Kräfte.«
»Mein Leben bedeutet nichts. Ul’ur hat sich zurückgezogen vor der Macht der vier Erwählten, aber er ist noch nicht besiegt. Ihr müsst seine Macht überwinden, wenn ihr aus seinem Reich entkommen wollt.«
*
Eine Stunde mochte bereits vergangen sein, seit sie Ul’ur begegnet waren, doch es war schwer, den Lauf der Zeit in dieser seltsamen Scheinwelt zu messen. Formloser Nebel umgab sie, und kein Himmelslicht zeigte sich, um den Wechsel von Nacht und Tag zu verkünden. Es gab nur ewiges Zwielicht in dieser Welt – Zwielicht, Nebel und Ul’ur. Immer noch kauerte Loridan neben Melia, umfasste sanft ihre Hände, in die er die Fain-Rune gelegt hatte. Die alte Frau hatte ihre Augen geschlossen, ihr Atem war schwach. Der Ritter fürchtete, dass sie sterben würde, und es erschien ihm unerträglich, dies tatenlos hinzunehmen. Er sah in Selinas Augen, die neben ihm kniete, und in ihrem Blick las er Trauer und Furcht. Stumm schüttelte Loridan seinen Kopf, dann erhob er sich, gepackt von dem
Weitere Kostenlose Bücher