Brüder der Drachen
plötzlichen Bedürfnis, irgendetwas zu tun. Ein paar Schritte entfernt saßen Danira und Timon beieinander, auch sie niedergeschlagen und erschöpft.
»Habt ihr irgendetwas gesehen?«, fragte Loridan, während er zu ihnen trat.
»Nein«, flüsterte Danira. »Alles ist still und tot um uns herum. Und ich frage mich … ob wir vielleicht auch tot sind.«
»Nein, wir sind nicht tot.« Loridan legte eine Hand auf Daniras Schulter. »Und jetzt müssen wir handeln, denn Melia geht es sehr schlecht.«
»Aber was sollen wir tun?«, fragte Timon. In seiner Hand hielt er die Seth-Rune, die in sanftem Licht leuchtete. »Was war der Nutzen unserer Runen, wenn ihre Macht nicht einmal ausreichte, um Ul’ur zu besiegen, der nur ein unbedeutender Schatten von Thaur-Angoths Macht ist?«
In einem plötzlichen Entschluss steckte Timon die Rune in seine Tasche zurück, und er holte Tan-Thalions Kristall hervor, der ihnen zuvor gegen die Wesen Thaur-Angoths geholfen hatte. Er sprach die Worte, die den Kristall zum Leuchten brachten, und sein blauviolettes Licht flutete durch den Nebel.
»Was tust du?«, fragte Loridan.
»Ich entzünde ein Licht in der Dunkelheit.« Timon lächelte schwach. »Vielleicht kann Jandaldon es sehen und uns so finden – oder Herubald und Gerric und alle die Männer aus der Seestadt, falls sie auch in dieser Welt gefangen sind. Aber noch besser wäre es, wenn wir uns aufmachen würden, um Jandaldon zu suchen.«
»Wir wollen Melia nicht alleine lassen«, sagte Danira.
»Dann müssen wir uns aufteilen«, erwiderte Timon. »Willst du mit mir gehen?«
»Es wäre besser, wenn du hierbleibst«, sagte Danira. »Denn wir werden es leichter haben, an diesen Ort zurückzukehren, wenn dein Licht hier verweilt.«
»Gut. Aber wer sonst soll gehen?«
»Ich werde gehen«, sagte Loridan.
»Und ich komme mit dir«, sagte Danira ohne zu zögern.
»Nein.« Loridans Stimme war sanft, ihr Klang duldete jedoch keinen Widerspruch. »Du und dein Schwert sollen hierbleiben und für Melias Sicherheit sorgen. Und auch für die anderen, die hier verweilen.«
»Und du willst ganz alleine in diesen Nebel gehen?«, fragte Danira.
»Keine Sorge, ich kann auf mich aufpassen.« Mit neu erwachter Entschlossenheit trat der Ritter an Selina heran und umarmte sie zärtlich. Gleich darauf wandte er sich ab und schritt hastig in den dichten Nebel hinaus. Immer wieder blickte er zurück, um Timons Licht zu suchen, das schon bald nur noch als winziger heller Fleck zu sehen war. Nun zögerte Loridan weiterzugehen, denn es würde schwer werden, seine Gefährten wiederzufinden, wenn er sich noch tiefer in den Nebel begab. Da weckte eine Bewegung seine Aufmerksamkeit – ein Schatten, der zunächst nur eine Verdichtung des allgegenwärtigen Dunstes zu sein schien.
Schaudernd blickte Loridan der Gestalt entgegen, die sich langsam näherte; immer klarer traten die Umrisse eines menschlichen Körpers hervor. Gerade wollte Loridan den Fremden ansprechen, als er erkannte, dass dieser offenkundig tot war. Seine Kleidung bestand nur noch aus Fetzen, und sein Fleisch war halb verwest. Aus der nach vorne gereckten Hand schauten blanke Knochen hervor. Angewidert verharrte Loridan, sein Schwert bereit zum Kampf, doch der Untote schien ihn nicht zu beachten und verschwand wieder im Nebel. Besorgt blickte der Ritter hinter sich, wo Timons Licht immer noch zu sehen war, dann erst nahm er seinen Weg wieder auf. Schon bald sah er einen weiteren wandelnden Toten, der mit schleppenden Schritten herankam. Loridan fragte sich, ob dies Menschen waren, die schon vor langer Zeit von Ul’ur aufgesogen worden waren und keinen eigenen Willen mehr besaßen. Vielleicht war auch Jandaldon bereits zu so einem Wesen geworden, und jede Rettung kam für ihn zu spät. Erst da sah Loridan, dass der zweite unheimliche Wanderer noch nicht in Verwesung übergegangen war. Es war einer der Männer aus der Seestadt, die Melia begleitet hatten. Das Gesicht des Mannes war mit dem Schleim der Tümpel besudelt, aber in seinen Augen glitzerte ein seltsames Licht. Ohne ein Wort zu sprechen kam der Mann näher, die Hände nach vorne gestreckt.
»Zurück!«, rief Loridan, während er selbst einen Schritt nach hinten trat, um dem Griff der Kreatur zu entgehen. Drohend hob er seine Waffe. Da sah er aus den Augenwinkeln, dass weitere Schatten sich ihm von der Seite näherten. Er ließ sein Schwert um sich kreisen und spürte, dass er eines der Wesen traf. Kein Schmerzensschrei ertönte,
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