Brüder der Drachen
rissen die Wolkenschleier auf, und Ul’ur stand unverhüllt vor ihnen. Sein Körper war Feuer und Eis, Wasser und Stein, und ein Sturmwind umtoste ihn. Melia stöhnte auf, und nur Loridans Arm hielt sie noch aufrecht.
Ul’ur kam näher. Durch einen Schauer von Eiskristallen hindurch sahen die Gefährten sein Gesicht, und sie staunten, denn Ul’ur war schrecklich und schön zugleich. Als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatten, war er ihnen nur wie ein undurchdringlicher Schatten erschienen, wie eine Statue aus schwarzem Stein. Nun jedoch waren sie in seinem Reich und sahen ihn in der Gestalt, die er sich selbst geformt hatte. Seine Augen flammten wie Feuer in einem Antlitz mit edlen und strengen Zügen. Seine Stimme war Donner, und Blitze krönten sein Haupt.
Ul’ur kam näher. Und je näher er kam, desto lauter wurde das Tosen der Elemente um die Gefährten herum. Melia stöhnte erneut auf, lauter als zuvor, und auch Loridan war nicht mehr in der Lage, die alte Frau zu stützen. Sie sank in die Knie, doch ihre Hände hielten immer noch die Rune umkrampft. Schon spürten die Gefährten, wie der Sturm sie erfasste. Und mit sich trug der wütende Wind die Drohung von Feuer und Eis, von Wasser und Stein.
Da trat Sardalan plötzlich nach vorne, und er stand unbeeindruckt in dem Wirbel der Elemente, seine Hand hoch über seinen Kopf erhoben. Das Leuchten von Feer hatte sich verstärkt, schien herausfordernd in Ul’urs Augen. Die schreckliche Gestalt streckte ihre Hand aus, um den Herausforderer zu vernichten, eine Klaue aus Eis, umwabert von rötlichen Feuerzungen. Doch gerade, als Ul’ur den Geist berühren wollte, flammte Feer auf, und der gewundene Draht formte sich zu einem blitzenden Speer, der tief in Ul’urs Körper vorstieß. Ein gewaltiger Schrei ertönte, wie das Brausen des Sturms und das Tosen des Wassers. Ein Zittern ging durch Ul’urs Macht, der vergeblich versuchte, die verwandelte Rune aus seiner Brust zu reißen, aus der sie immer noch hell leuchtend hervorragte. Aber noch war er nicht besiegt.
Seine Hand warf Sardalan zu Boden, als er wild um sich schlug. Hagel und brennender Staub umwirbelten ihn, und doch fühlten die Gefährten für einen Moment, wie eine schwere Last sich von ihnen hob. Die fünf Runen flammten gleißend auf, als ihre Magie sich plötzlich frei entfaltete. Das Leuchten wurde heller und heller, und es leuchtete auf Ul’ur, den Schatten, den nicht einmal das Licht der Sonne auslöschen konnte. Ul’ur schrie erneut, als das Licht sich tief in seine Augen fraß. Sein Körper verlor seine feste Gestalt, während eine weiße Glut ihn von innen heraus verzehrte. Nur sein Gesicht war für einen Augenblick noch klar umrissen, und seine Züge waren verzerrt vor Wut und Schmerz, dann blieb nur noch ein formloser Nebel übrig. Als sein Schrei verhallte, war auch Ul’ur verschwunden, und das Zwielicht seines Reiches löste sich auf.
Es war tiefe Nacht, und der Himmel war klar, übersät mit Tausenden von Sternen. Für einen Moment erschien es den Gefährten, als würde ein letzter Schleier des Nebels sich von ihnen heben und im nächtlichen Himmel verschwinden, dort wo Eril-Angoth zornig funkelte. Kurz war der rote Himmelswanderer von einer dunstigen Aureole umgeben, doch gleich darauf schien Eril-Angoths Licht wieder klar und kalt auf das Trümmerfeld von Car-Lanadhon herunter, heller und bedrohlicher als je zuvor. Für eine kurze Weile standen die Gefährten verwirrt in der Dunkelheit, bis Timons magisches Licht hell aufflammte.
»Ist es wirklich Nacht?«, flüsterte Danira. »Oder sind wir immer noch in irgendeinem Zauber gefangen?«
»Ja, es ist Nacht«, antwortete Timon. »Offenbar ist uns die Zeit in Ul’urs Welt kürzer erschienen. Ich hoffe, dass es nur ein Tag ist, der für unsere Freunde hier vergangen ist.«
»Und ist das das Ende von Ul’ur?«, fragte Danira.
»Wer weiß?«, antwortete Sardalan, der nun durchscheinend und blass erschien. »Ich glaube, dass seine Macht gebrochen ist, und mit ihm ist auch Feer dahingeschwunden. Aber dies werdet Ihr selbst herausfinden müssen. Mein Geist ist nun frei, diese Welt zu verlassen, so wie auch die versklavten Geister der anderen Opfer frei sind. Lebt wohl. Wir gehen nun – zurück zu Firion, aus dem wir gekommen sind.«
Einladend streckte der Geist einen Arm aus, und als Loridans Blick der Geste folgte, sah er, dass Selina neben Melia kauerte und deren Hand in der ihren hielt. Sofort beugte Loridan sich über die alte
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