Brüder der Drachen
nur abends für dich Zeit, und du hättest tagsüber auch andere Dinge zu tun. Du solltest auch lernen, einen Haushalt zu führen, das Land zu bestellen und die Tiere zu versorgen.« Der Alte reichte ihr einen Sack. »Du kannst gleich damit anfangen, die Echse zu füttern. Gib ihr aber nur ein paar Hände voll.« Er wandte sich um und ging auf das Tor des Stalls zu, wo er noch einmal stehen blieb.
»Ach ja, mein Name ist Grimstan«, sagte er.
*
Das Sonnenlicht glänzte golden auf dem Wasser des Flusses, als Loridan und Deryn ihre Echsen auf die gewaltige Brücke lenkten, die zum Stadttor von Car-Tiatha führte. Der Fluss war während der gesamten Strecke von Ber-Eliath nach Car-Tiatha zu ihrer Rechten gewesen, doch manchmal hatte der Weg sich so weit von ihm entfernt, dass nur noch die Büsche und Bäume, die seine Ufer säumten, zu sehen gewesen waren. Während der Reise war Danira abwechselnd auf den Echsen ihrer Begleiter mitgeritten, und nun hatte Deryn sie wieder zu sich in den Sattel genommen. Seit ihrer letzten kurzen Rast vor zwei Stunden verlief der Weg direkt am östlichen Ufer des Grünechsenflusses entlang durch das fruchtbare Tiefland, das die Hauptstadt des Reiches umgab.
Im Gras der Uferböschung und in den Zweigen der Büsche, die dort wuchsen, sah man immer wieder ein leuchtendes Grün aufblitzen. Die kleinen, flinken Echsen, die dem Fluss seinen Namen gegeben hatten, suchten das Sonnenlicht, und vor allem auf dem östlichen Ufer hatten sich ganze Scharen von ihnen versammelt. Manchmal, wenn der Schatten eines Narvi über sie hinwegzog, flüchteten die Echsen blitzartig in Erdhöhlen oder Gebüsche, und dann schien das ganze Ufer plötzlich in Bewegung zu geraten.
Die Türme der Stadt mit ihren unzähligen Fahnen und Wimpeln waren schon von weit her sichtbar gewesen, doch erst jetzt erkannte Danira die überwältigenden Ausmaße der Befestigungsanlagen.
»Es ist alles so riesig«, sagte sie. »Die Brücke und die Mauern und die Türme, alles ist größer als in Lornmund oder in Car-Elnath.«
»Die Bauwerke, die du hier siehst, wurden von den Ahnen zur Glanzzeit ihrer Macht angelegt«, sagte Deryn. »Denn Car-Tiatha ist erbaut worden, als das Reich der Menschen auf dem Südkontinent noch nicht zerfallen war. Die Städte, die später entstanden, sind von Flüchtlingen in aller Eile begründet worden – von Menschen, die in ihrer alten Heimat alles verloren hatten.«
Vergeblich versuchte Danira sich an die Dinge zu erinnern, die sie in lange vergangenen, glücklicheren Tagen von ihren Eltern über die Geschichte des Reiches gelernt hatte. Mit ehrfürchtigem Staunen blickte sie um sich. Die zinnenbewehrten Mauern und die himmelstrebenden Türme zeugten von dem hochfliegenden Geist und dem Stolz, der die Baumeister der Stadt erfüllt haben musste. Schon die Brücke, die den Fluss überspannte, war für Danira ein Wunder der Baukunst. Vier steinerne Pfeiler, von denen zwei direkt aus dem klaren Wasser herauszuwachsen schienen, trugen das imposante Bauwerk. Sechs Reiter konnten nebeneinander über die Brücke reiten, und auch jetzt strebte ein reger Strom von Menschen auf das Stadttor zu. Danira blickte über das eiserne Geländer hinunter auf die flache Uferböschung, wo einige kleine Boote umgedreht auf dem Boden lagen. Ein Stück weiter waren schwer beladene Kähne am Ufer vertäut, und kräftige Männer in zerschlissener Kleidung trugen Säcke und Fässer über einen ausgetretenen Pfad zur Brücke hinauf.
»Der Fluss mündet weit im Süden in das Meer der Tränen«, erläuterte Deryn. »Dort liegt eine weitere große Stadt, Car-Ladogh ist ihr Name. Und von dort fahren Schiffe zu anderen Städten oder zu dem alten Land im Süden. Hier ist der Fluss nur für kleine Schiffe befahrbar, trotzdem stellt er für Car-Tiatha eine wichtige Handelsverbindung dar.«
Danira achtete schon nicht mehr auf den Fluss und die Boote, denn ihre Aufmerksamkeit wurde von einem Gebäude angezogen, das den Mauern der Stadt vorgelagert auf einem Pfeiler der Brücke errichtet war. Zwei Tore führten in diesen Vorbau, und neben diesen standen Soldaten in Kettenrüstungen und rostroten Überwürfen. Der letzte Abschnitt der Brücke bestand aus massiven Holzplanken, von denen Ketten, so dick wie der Arm eines Mannes, in schrägem Winkel zu Durchlässen in der Mauer hinaufliefen. Offenbar waren es Zugbrücken, die bei Bedarf hochgezogen werden konnten, um Angreifer von den Durchgängen fernzuhalten. Die Wächter
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