Brüder Des Zorns
Offensichtlich sind die Jahre für euch recht unerheblich.«
Fyana dachte daran, wie die Königin auf ihre Hand gestarrt hatte. Das war die leichteste Art, Aufschluss über das Alter einer Frau zu erhalten, die ansonsten noch jung aussah. Sie denkt, ich bin alt! Sie glaubt, das sei mein Geheimnis! Fyana seufzte und schlug die Augen nieder, um ihren Triumph zu verbergen. Jetzt wusste sie, was zu tun war. Die Königin deutete ihr Benehmen falsch.
»Sicher hat dich der lange Ritt ermüdet. Gestatte, dass ich dir etwas anbiete.« Sie klatschte in die Hände, und Sklaven eilten herbei, um ihre Befehle auszuführen. Schon bald waren sie von Schüsseln und Tabletts mit den verschiedensten Köstlichkeiten umgeben. Larissa hielt sich an die Gebote der Höflichkeit und stellte dem Gast während der Mahlzeit keine weiteren Fragen. Fyana aß langsam und war dankbar für die Gelegenheit, ihr weiteres Vorgehen in aller Ruhe zu bedenken. Als sie gegessen hatte, hob sie den Kopf und sah Larissa in die Augen.
»Du möchtest etwas, und ich möchte etwas.«
»Was willst du? Sage es, und es gehört dir!«
»Zuerst sollten wir über deine Wünsche reden.« Wie Larissa es zuvor getan hatte, so strich jetzt Fyana über die Wange der Königin und berührte sie sanft an der Schulter. »Du bist die schönste Frau, die ich je sah, aber wir wissen beide, dass Schönheit vergänglich ist.«
»Nicht nur die Schönheit«, antwortete Larissa, »auch die Gesundheit. Das Leben! Es reicht nicht aus. Unser Werk ist bereits weit fortgeschritten, aber mein Gemahl und ich werden älter. Einst erstreckte sich unser Leben wie eine endlose Zeitspanne vor uns, aber nun zweifle ich daran, ob wir unsere Bestimmung erreichen.« Die Worte sprudelten hervor, als befürchte sie, ihr Gemahl würde zurückkehren und sie stören. Wahrscheinlich hätte er die Worte nicht gutgeheißen.
»Und mit der Schönheit und Jugend fürchtest du auch die Macht und den Respekt deiner Untertanen zu verlieren.« Fyana war sicher, die Gedanken der Herrscherin zu kennen. »Selbst eure ehemaligen Feinde dienen euch fast so fanatisch wie die Insulaner, da sie euch für ihre Götter halten.«
»Ja.« Larissa flüsterte nur noch.
»Nehmen wir an, ich sage dir, dass dein Wunsch nicht in Erfüllung geht, weil es an unserem Blut liegt und wir Schluchtler das Geheimnis nicht auf Fremde übertragen können.«
Die Königin sah auf und errötete unwillig. »Ich würde dir nicht glauben. Ihr Schluchtler seid für eure Geheimnisse bekannt. Ihr seid die einzigen Menschen, die nicht altern. Eure Heilkunst und die besonderen Arzneien ermöglichen es, und es hat nichts mit eurem Blut zu tun.«
»Nun gut«, sagte Fyana zögernd, als müsse sie die Wahrheit zugeben. »Was ist, wenn ich erzähle, dass es nicht einfach ist? Dass es eine langwierige und anstrengende Behandlung erfordert?«
»Ich halte alles aus!« rief Larissa. »Mein Gemahl auch. Du hast keine verweichlichten Palastschranzen vor dir! Die Leute vom Festland nennen uns Barbaren, und das sind wir auch. Wir besitzen mehr Ausdauer und Kraft als jeder andere.«
»Ich sagte dir, dass auch ich etwas will.«
»Sprich es aus!«
»Ich will Ansa. Gib ihn mir.«
Die Königin sah bedrückt drein. Eine neue Erfahrung für eine Frau, die es gewohnt war, ihren Willen durchzusetzen.
»Das … das geht nicht. Er bedeutet uns sehr viel. Wünsche dir etwas anderes.« Sie hörte sich an, als rede sie über ein geliebtes Kind.
»Ansa. Ich will nichts anderes. Wo ist er?«
»Etwas anderes!« beharrte Larissa.
»Dann haben wir nichts mehr zu besprechen.« Fyana erhob sich und fragte sich, ob sie die nächsten Sekunden überleben würde.
»Setz dich!« sagte die Königin und sah aus, als koste sie dieses Zugeständnis große Überwindung. Sie klatschte in die Hände und rief in Richtung Eingang: »Bringt den Gefangenen!«
Zwei Frauen zerrten Ansa zwischen sich herein. So groß war ihre Erleichterung, ihn lebend zu sehen, dass Fyana nicht auf die bizarre Erscheinung der Kriegerinnen achtete. Hier im Lager gab es viel Ungewöhnliches zu sehen. Welcher Folter er auch ausgesetzt war, sein Körper wirkte unversehrt. Er sah nur bleich und abgespannt aus.
Ansa gelang ein Lächeln. »Ich hatte dich schon gestern erwartet.«
Larissa sah von einem zum anderen, als glaube sie ihm. Das war hervorragend, dachte Fyana. Am liebsten hätte sie Ansa geohrfeigt, weil er so leicht in die Falle getappt war.
»Ich bin gekommen, um dich zu holen.«
Er sah
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