Brüder Des Zorns
irgendeinem Grund schien die schlichte Bewegung sie zu beeindrucken. Fyana verneigte sich.
»Königin Larissa, ich bin Lady Fyana aus der Schlucht.«
»Wieso bist du schon hier?« fragte die Königin mit weit aufgerissenen Augen. »Wie kann das sein? Ich habe den Boten erst vor zwei Tagen ausgeschickt!«
Fyanas Verstand arbeitete blitzschnell. Anscheinend hatte Larissa einen Boten ausgesandt, um sie zu holen. Ihr plötzliches Auftauchen ließ auf geheimnisvolle Kräfte schließen. Das war sehr nützlich. Aber weshalb hatte man nach ihr geschickt? Offensichtlich war Larissa nicht krank. Vielleicht fehlte dem König etwas?
»Ich brauche keinen Boten, um hier zu erscheinen«, sagte sie hoheitsvoll. »Wir haben einiges zu besprechen.«
»Einiges?« Larissa fehlten die Worte. Den erstaunten Blicken der Umstehenden nach zu schließen, geschah das sonst nie. »Ja, sicher. Wir müssen uns unterhalten.«
»Was ist hier los?« fragte eine tiefe Männerstimme. Fyana sah an Larissa vorbei und erblickte einen hochgewachsenen Shasinn, der gerade das Zelt verließ. In der Hand hielt er einen langen Stahlspeer. Das also war Gasam. Er sah ebenso beeindruckend aus wie seine Gemahlin. Kein Wunder, dass sich die beiden besser dünkten als andere Menschen.
»Das ist Lady Fyana aus der Schlucht«, erklärte Larissa mit erstickter Stimme. »Ich habe nach ihr geschickt.«
»Das weiß ich.« Der König stellte sich neben seine Frau und legte ihr den Arm um die Schultern. Auch er sah weder krank noch verletzt aus. Seine blauen Augen wirkten eiskalt und unmenschlich. Falls sie etwas erreichen wollte, musste sie sich an die Königin halten, dachte Fyana.
»Sie war schnell«, meinte Gasam.
»Ich erfahre auf meine … Art, wann ich gebraucht werde.« Die Königin sah vollkommen überzeugt aus. Der König schien misstrauisch und auch ein wenig amüsiert zu sein, aber Fyana wusste, dass manche Menschen dahinter ihre Unsicherheit verbargen. Die anwesenden Krieger entspannten sich merklich. Obwohl sich die Königin seltsam benahm, ließ sich der Herrscher nicht von dieser Fremden beeindrucken.
»Komm herein. Dort unterhalten wir uns«, sagte Larissa. »Sei willkommen, Lady Fyana.«
»Ich muss mich um andere Dinge kümmern«, verkündete Gasam. »Unterhalte unseren Gast. Ich geselle mich später zu euch.« Er warf Larissa einen fragenden Blick zu, als sei auch er durch ihr seltsames Verhalten beunruhigt.
»Komm mit«, wiederholte die Königin und nahm Fyana bei der Hand. Sie ließ sie auch nicht los, als sie im Zelt auf bequemen Kissen Platz nahmen. Immer wieder warf die Herrscherin verstohlene Blicke auf Fyanas Handrücken, als suche sie nach besonderen Anzeichen.
»Wann bist du eingetroffen?«
»Gestern Abend, nach Einbruch der Dunkelheit.«
»Und niemand hat es mir gesagt?« Larissa starrte wütend zum Zelteingang, als suche sie den Schuldigen.
»Niemand wusste, wer ich bin, und sie wagten nicht, dich zu wecken. Schließlich hast du mich nicht so früh erwartet.«
»Das ist richtig, aber man erkennt doch eindeutig, woher …«
»Im Dunkeln ist meine Hautfarbe nicht zu erkennen«, unterbrach Fyana sie.
Mit sanfter Hand strich ihr Larissa über das Gesicht. »Es stimmt. Du bist wirklich blau.« Sie flüsterte beinahe.
Schließlich riss sie sich zusammen. »Ja, jetzt bist du also hier. Woher du es wusstest, kann ich mir nicht vorstellen, aber ihr Schluchtler seid für eure geheimnisvollen Fähigkeiten bekannt. Aus diesem Grund wollte ich dich sehen. Man sagte mir, du kannst Krankheiten durch Berührungen feststellen. Stimmt das?«
»Ja, das kann ich. Möchtest du etwas über deinen Gesundheitszustand erfahren?«
»Bitte.«
Fyana legte Larissa die Fingerspitzen auf die Stirn. Die Königin zuckte zusammen und schloss die Augen, als rechne sie mit einem unangenehmen Gefühl.
»Entspanne dich. Versuche, an gar nichts zu denken.« Es dauerte nur wenige Augenblicke. Fyana zog die Hand zurück. »Selten traf ich jemanden, der so gesund ist wie du. Jedenfalls niemand, der in deinem Alter ist.« Kaum merklich zuckte es um die Augenwinkel der Königin.
»Das ist etwas, worüber wir noch reden müssen«, erklärte Larissa. »Wie alt bist du wirklich?«
Fyana wunderte sich. Sie hatte nach ihrem wirklichen Alter gefragt. Für die Königin schien es nicht eindeutig feststellbar zu sein. »In der Schlucht zählen wir die Jahre nicht.« Larissas Augen verschleierten sich. Sie glaubt, ich weiche aus.
»Das kann ich mir vorstellen.
Weitere Kostenlose Bücher