Brüder Des Zorns
Nur die wilden Tiere wirkten zufrieden. Große Gabelhornherden und wilde Nusks grasten auf dem Land, das noch vor wenigen Tagen sorgfältig bearbeitet und behütet worden war.
Das Heer lagerte auf einer Anhöhe, auf der sich ein ansehnliches Dorf und Felder befanden. Hier gab es keine Anzeichen für Mord und Vernichtung. Die Königin und ihre Leibwachen ritten mit der untergehenden Sonne im Rücken. Als die Krieger erkannten, wer sich ihnen näherte, brachen sie in Jubelrufe aus und schwenkten die Speere.
Stolz ritt Larissa an den nach Regimentern geordneten Truppen vorbei. Gerüchte breiteten sich aus. Sie sah erstaunt aufgerissene Augen und weit geöffnete Münder. Auf der Ostseite des Dorfes, wo sich das Gelände einer breiten, mit Wäldern bewachsenen Flussebene zuneigte, entdeckte sie eine Gruppe Offiziere, in deren Mitte der König stand.
Larissa genoss Gasams entgeisterte Miene, ehe sie ihr Cabo zügelte und ihm in die Arme sprang.
»Larissa!« Er schwenkte sie mehrmals mit einer Leichtigkeit im Kreis herum, als wäre sie ein Kind, und trotz seines Erstaunens sprudelte er über vor Freude.
Schließlich hielt er sie auf Armeslänge von sich ab, ohne dass ihre Füße den Boden berührten, und sah sie mit gerunzelter Stirn an. »Was ist los? Rebellierten die Chiwaner gleich nach meiner Abreise?«
»Diese Kaggas?« Sie lachte bei dem Gedanken. »Vieh rebelliert nicht. Ich überließ sie Pendu, er wird für Ordnung sorgen. Mein Gebieter, ich bringe dir die besten Neuigkeiten der Welt. Ich muss dich unter vier Augen sprechen.«
»Komm mit.« Er setzte sie ab, und sie gingen zum Rand des Dorfes. Gasam legte ihr den Arm um die Schultern, und sie umschlang seine Hüften. Im Licht der untergehenden Sonne sah Larissa in weiter Ferne die Türme einer großen Stadt.
»Geliebter«, begann sie mit leiser Stimme, »es ist soweit! Meine Spione haben König Haels Stahlmine gefunden. Sie liegt nicht so weit entfernt, wie wir fürchteten!« Sekundenlang stand er wie erstarrt neben ihr, und sie spürte, dass er erzitterte wie ein Kagga, das vor dem Schlachten durch einen Schlag auf den Kopf betäubt wurde.
Dann vollführte er einen Luftsprung und riss den Speer in die Höhe. Die Sonnenstrahlen funkelten auf dem polierten Metall. Gasam stieß einen Schrei aus, der sicherlich auch in der fernen Stadt zu hören war. Als er wieder auf den Beinen stand, vollführte er einen der uralten Siegestänze der Shasinn. Danach rammte er den Speer in den Boden und wirbelte Larissa abermals durch die Luft.
»Die Welt gehört uns! Jetzt kann mich nichts mehr aufhalten!«
Dann stellte er sie wieder hin, und die Königin bemerkte die gaffenden Offiziere.
»Nun, soviel zur Geheimhaltung«, seufzte sie.
»Was soll’s?« meinte er mit breitem Grinsen. »Ich befinde mich inmitten meines Heeres und werde bald die ganze Welt beherrschen!« Er zog sie in Richtung Dorf. »Komm mit. Ich lasse ein Haus für dich vorbereiten, und heute Abend kannst du den Offizieren genauen Bericht erstatten.«
Aufmerksam sah sich die Königin in dem unversehrten Dorf um. »Hier sieht es anders aus als in den Orten, durch die wir reisten.«
»Stimmt. In den letzten beiden Tagen marschierten wir gemächlich voran, um den Menschen Gelegenheit zur Flucht zu geben. Der König weiß seit geraumer Zeit von unserem Nahen. Ich lasse die Landbevölkerung in die Hauptstadt strömen, die du in der Ferne siehst, damit sie die Vorräte verzehren und alle in Furcht und Schrecken versetzen.«
»Wird es eine Belagerung geben?« Sie hasste Belagerungen. Sie dauerten ewig, waren langweilig und riefen abscheuliche Gerüche hervor.
»Das hängt von vielen Dingen ab. Ich möchte es natürlich vermeiden. Wenn König Mana dumm genug ist, sich mir vor den Toren der Stadt zur Schlacht zu stellen, werde ich ihn mit einem Schlag vernichten. Wenn nicht, versuchen wir, die Stadt zu erstürmen. Noch habe ich mir die Verteidigungsanlagen nicht aus der Nähe angesehen, und meine Späher verstehen sich nicht darauf.«
Sie betraten ein Haus, das dem Dorfältesten oder dem Priester gehört haben mochte. Es war größer als die übrigen Gebäude und zum Schutz vor Überschwemmungen, Fäulnis und Holzschädlingen auf einem Steinfundament errichtet. Das Haus bestand aus Lehm und Holz und hatte ein Reetdach. Eine breite Veranda zog sich um das ganze Gebäude, das im Inneren in mehrere Räume unterteilt war.
»Ich bin froh, dass ihr das Haus nicht zerstört habt«, meinte Larissa. »Die Regenzeit
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