Brüder Des Zorns
danach. Sie legte einen dünnen Silberring mit tränenförmigem Anhänger frei. Solchen Schmuck trugen die weiblichen Krieger in den durchstochenen Brustwarzen. Sie lächelte vergnügt.
»Nein«, meinte sie. »Ich glaube, die Lieblingskriegerinnen des Königs machen ihrem schlechten Ruf alle Ehre.« Sogar Bada sah sie entsetzt an., »Ich bitte euch! Wir gehen viel schlimmer mit Lebenden um. Warum stellt ihr euch so an, wenn es sich um Tote handelt?«
Bada war mutig genug, der Königin zu widersprechen. »Es ist unnatürlich, Gebieterin!«
»Tatsächlich? Viele von euch glaubten, es wäre unnatürlich, wenn Frauen als Kriegerinnen dienen. Dennoch bewiesen sie ihren Wert in vielen Schlachten. Ist es so seltsam, wenn sie Menschenfleisch mögen? Solange sie meinem Gemahl in unverbrüchlicher Treue ergeben sind, können sie mit ihren Metallzähnen von mir aus lebende Gefangene anknabbern!«
»Meine Königin hat recht«, antwortete Bada. »Nichts ist wichtiger als Treue.«
Gebannt starrte Larissa auf die Überreste der grausigen Mahlzeit. Sie fragte sich, ob Gasam daran teilgehabt hatte. Das Ganze war neu und berührte sie eigentümlich und aufreizend. Im Gegensatz zu ihren Kriegern spürte sie keinerlei Abscheu. Niemals stellte sie Dinge in Frage, die ihr Freude oder Aufregung bereiteten. Vielleicht würde sie sich in Zukunft nach einer Schlacht an einem solchen Mahl beteiligen, dachte sie voller Vorfreude.
Später an jenem Tag überquerten sie den Fluss auf einer breiten Brücke. Sie wussten, dass der König und sein Heer nicht mehr fern waren. Die Zeichen der Vernichtung wurden immer frischer. In Asche gelegte Dörfer sandten Rauchfahnen zum Himmel, und die Überlebenden wirkten benommen und verängstigt.
Sie schlugen ihr Nachtlager am anderen Ufer auf und mussten einen schrecklichen Regenschauer ertragen, dem ein Gewitter mit Blitzen und Donner folgte. Da in ihrer Heimat furchtbare Gewitter an der Tages-Ordnung waren, machte es ihnen nicht viel aus. Anscheinend brach die Regenzeit in diesem Jahr früher herein als sonst. Ein nasser Feldzug stand ihnen bevor.
»Unbequem für die Männer«, erklärte Bada, »aber nicht schlecht für das Heer.« Die jungen Krieger beugten sich vor, ohne auf das Wasser zu achten, das ihnen übers Gesicht strömte, und warteten begierig auf die Worte des erfahrenen Kriegers. »Das Heer unseres Königs ist nicht von Tieren und Wagen abhängig wie die Truppen des Südens. Der Regen und der Schlamm werden die Feinde stark behindern.«
»Aber nur ein Zehntel unseres Heeres besteht aus Shasinn«, sagte ein junger Krieger und strich über den Speer, der in einer wasserdichten Hülle steckte. »Die anderen Soldaten gehören minderwertigen Völkern an.«
»Was macht das schon?« Bada grinste. »Sie fürchten den König mehr als das Wetter und werden sich so beeilen, wie er es befiehlt.«
»Das stimmt«, meinte Larissa. Sie saß mit ihnen an dem Feuer, das sie nach viel Mühe endlich hatten entzünden können. Der Sturm war so plötzlich hereingebrochen, dass sie sich nicht die Mühe gemacht hatten, Schutzdächer zu errichten. Ihre Gewänder waren so durchweicht, dass Larissa sie ausgezogen hatte und nun nackt auf dem zusammengefalteten Umhang hockte. Die meisten Krieger waren ihrem Beispiel gefolgt, ohne lange darüber nachzudenken. Die Königin wurde nicht wie eine gewöhnliche Frau angesehen, sondern jederzeit voller Ehrerbietung. Die Spione, die aus einem anderen Kulturkreis stammten, vermieden es, sie anzuschauen.
Larissa fand Gefallen daran. In den letzten Jahren hatte sie sich ungern nackt gezeigt, aber der lange Ritt voller Entbehrungen hatte ihrem Körper gut getan, und das weiche, schlaffe Fleisch, das sie so hasste, war verschwunden. Sie fühlte sich stark, schön und besser als seit Jahren. Bestimmt sah Gasam jetzt ein, dass sie kräftig genug war, ihn auf seinem Feldzug zu begleiten.
Tatsächlich fühlte sie sich wie neugeboren. Sie war überzeugt, dass sie am Anfang einer neuen Glückssträhne standen und – so glorreich die Vergangenheit auch war – eine Zukunft voller ungeahnter Möglichkeiten vor ihnen lag. Sie und Gasam, der Gott und die Göttin, würden die Welt regieren, eine Welt, die sie entsprechend ihren eigenen Wünschen und Träumen formten.
Zwei Tage später stießen sie nach einem Ritt durch zerstörte Ländereien auf das Heer. Die hinter ihnen liegenden Felder waren verwüstet, und außer Leichen und hohlwangigen Flüchtlingen begegneten sie niemandem.
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