Brüder Des Zorns
hatte. Sie nutzten ein heftiges Gewitter, um sich näher als sonst an die Mauern heranzuwagen. Larissa und die höchsten Offiziere begleiteten den König. Ein Regiment Chiwaner trug riesige Schilde, die als bewegliche Mauer dienten, falls die Feinde sie mit Geschossen bewarfen. Bis jetzt hatten sie jedoch noch keine Munition verschwendet.
»Was haltet ihr davon?« fragte Gasam.
»Stärker als alles, was wir bisher vor uns hatten«, antwortete Raba. »Die Mauern sind dicker und auch viel höher. Die Türme stehen dicht beieinander und sind beeindruckend.«
Die Inselkrieger trugen steinerne Mienen zur Schau. Sie liebten den Kampf, hassten aber diese Art der Kriegführung: graben, hacken, rammen, abwarten. Es war nervtötend und zeitraubend. Erst wenn die Leitern und die Belagerungstürme endlich an den Mauern lehnten und die Stadt erstürmt wurde, erwachte ihr alter Kampfgeist. Die Festlandbewohner blieben gleichmütig.
Sie waren für einen solchen Krieg ausgebildet und wussten, dass Gasam sie einsetzen würde und die Shasinn für größere Taten zurückhielt.
»Wir wollen sehen, ob wir nicht eine Schwachstelle finden«, meinte Gasam. Sie gingen weiter, und er fuhr fort: »Da seht ihr, was geschieht, wenn ein Teil des Heeres frühzeitig vernichtet wird. Selbst ein Narr wie Mana kann sich nicht länger einreden, dass er uns im offenen Kampf besiegt. Stattdessen vertraut er auf diese Mauern.«
»Ich verstehe diese Menschen nicht«, sagte Urlik. »Was ist so schlimm an einem schnellen Tod in der Schlacht? Er weiß doch, dass wir das ganze Land zerstören, während er da drinnen hockt und wir hier draußen sind.«
»Er weiß es«, warf Larissa ein, »aber es ist ihm gleichgültig. Nur weil sie seine Untertanen sind, hängt er nicht an ihnen. Sie bedeuten ihm nichts. Egal, wie viele wir töten, die Überlebenden werden sich bald wieder vermehren.«
»Das ist immer so«, stimmte Gasam zu.
Auf halbem Wege um die Stadtmauer stießen sie auf einen kleinen Fluss, der die Stadt durch einen Torbogen durchquerte, den ein schweres Fallgitter aus Holz und Bronze versperrte. Zu beiden Seiten des Gitters ragten hohe Türme mit zahlreichen Schießscharten auf.
»Verführerisch«, bemerkte ein chiwanischer Belagerungsoffizier, »aber der Fluss ist zu klein, um ein schweres Floß mit einem Rammbock ins Wasser zu lassen.«
Über eine schmale Brücke schritten sie zum anderen Ufer. Dort neigte sich der Boden ein wenig, so dass die Mauer hier noch höher war. Die Belagerungsoffiziere vermuteten, dass die höhere Mauer dünner war, wie es häufig vorkam, aber die Bodensenke war unvorteilhaft für Rammböcke und ähnliche Geräte. Unter Umständen konnte man sich durchgraben, aber ein Erstürmen der Mauer war bei einer solchen Höhe ausgeschlossen.
Gasam seufzte. »Also gut, sehen wir uns das Haupttor an.«
Eine gepflasterte Straße führte zum Tor, einer schweren Konstruktion aus Holz und Bronze. Die Flügel waren so aufgehängt, dass sie nur nach außen zu öffnen waren. Gefangene hatten ihnen eine genaue Beschreibung dessen gegeben, was sie dahinter erwartete: ein dreißig Fuß langer Gang mit doppelten Fallgittern und einem zweiten Tor am Ende. Über die Länge des Ganges befanden sich Öffnungen in der Decke und an den Seiten, um Geschosse und kochendes Pech auf Angreifer herabzuschütten. Die beiden größten und stärksten Türme der Anlage, auf denen die königlichen Flaggen schlaff im Regen hingen, flankierten das Tor.
Larissa wrang sich das Wasser aus den Haaren. »Es sieht zunehmend nach einer Belagerung aus«, sagte sie missmutig.
»Ich befürchte es«, erklärte Gasam. »Wenn Mana sich nicht in den nächsten Tagen zum Kampf stellt, muss ich mich darauf vorbereiten. Sobald die Späher mir Bericht erstatten, wie es im Land aussieht, können ein paar Regimenter andere Gegenden unterwerfen. Dann haben sie etwas zu tun, und wir verringern die Seuchengefahr. Es gibt nichts Ungesünderes als ein ausgedehntes Lagerleben.«
»Bis auf das Leben in einer belagerten Stadt«, warf ein Offizier ein und erntete herzhaftes Gelächter.
Larissa lächelte. Sie wollte dem König ihren Plan unterbreiten, sobald er sicher war, dass er seine Truppen ohne Gefahr aufteilen konnte.
KAPITEL ZEHN
F yana hielt ihr Geschenk in die Höhe und betrachtete es im Licht der Lampen: eine Halskette aus großen Perlen und Bernsteinkugeln, die an feinen Goldketten befestigt waren. Das Schmuckstück hing wie eine Kette aus greifbar gewordenem
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