Brüder Des Zorns
der besiegten Armeen hatte sich das kostbare Zelt eines Generals gefunden. Sie wollte den Leuten aus Gran ihre Macht zur Schau stellen und zeigen, dass König Gasam so unangefochten herrschte, dass er sich leisten konnte, seine Königin zu einem diplomatischen Treffen zu schicken. Sie liebte diese Art der Machtspiele. Plötzlich fiel ihr etwas ein.
»Gibt es Neuigkeiten aus dem Norden?« fragte sie gespannt.
»Aus dem Norden?« Gasam sah sie verwirrt an. »Aus der Wüste?«
»Noch weiter aus dem Norden«, erklärte sie ungeduldig. »Von Hael.«
»Nichts. Es ist noch viel zu früh, um eine Reaktion zu erwarten. Ich werde den gesamten Süden beherrschen, ehe er etwas unternehmen kann.«
Larissa empfand Gasams Zuversicht als verfrüht, ließ sich aber nichts anmerken. Militärische Angelegenheiten überließ sie ihm. Trotzdem hatte sie ein ungutes Gefühl und befürchtete, dass sie noch anderen als ausschließlich militärischen Herausforderungen gegenüberstehen würden.
König Gasam betrat den unterirdischen Gang und achtete darauf, nicht mit den feuchten Wänden in Berührung zu kommen. Von Zeit zu Zeit rieselte Erde durch die Deckenverschalung und ließ ihn jedes Mal zusammenzucken. Er hasste es, unter der Erde zu sein. Es war unnatürlich. Er liebte den weiten Himmel und den Boden unter seinen Füßen. Selbst unter einem Dach fühlte er sich nicht wohl.
»Menschen sollten nicht wie Horngräber in der Erde wühlen«, sagte er an seine Begleiter gewandt. Die meisten nickten und murmelten nur zustimmend, da sie von der Umgebung so bedrückt waren, dass es ihnen die Stimme verschlug.
»Es ist jedoch notwendig, wenn man diese Stadt einnehmen will«, bemerkte der Offizier, der sie hinabgeführt hatte. Er war ein nevanischer Söldner und kommandierte die Pioniere und Belagerungsfachleute. Allein die Nevaner waren Meister in dieser Art der Kriegführung, die eher schwere Arbeit als Kampf bedeutete.
»Ginge es irgendwie anders, würde ich es tun«, antwortete Gasam.
»Ganz wie du wünschst, edler König«, sagte der Offizier. Er war Berufssoldat und zollte Gasam den Respekt, den er jedem Brotherrn entgegenbrachte. »Ich habe die Stadt von allen Seiten untersucht, und wenn du sie einnehmen willst, ehe die Pest in deinem Lager ausbricht, geht es nur mit Hilfe unterirdischer Gänge.«
»Ja, ja, das weiß ich«, entgegnete Gasam gereizt. Es störte ihn, dass ihn diese Umgebung seiner üblichen Gelassenheit beraubte. »Wie tief sind wir?« Der Gang hatte fast hundert Schritte leicht bergab geführt und verlief jetzt geradeaus.
»Nicht sehr tief. Ungefähr zehn Schritte unter der Erdoberfläche.«
Gasam dachte an die Unmengen von Erde über seinem Kopf und zwang sich weiterzugehen. Während er mit seinem Gefolge den Gang betrachtete, hatten die Arbeiter ihre Werkzeuge beiseite gelegt und waren ins Freie gegangen. Überall lagen Spitzhacken, Schaufeln, Hämmer und Körbe herum, mit denen man die Erde ans Tageslicht brachte. Fackeln und Lampen hüllten den Gang in ein gedämpftes Licht, und der Rauch erschwerte das Atmen. Hier unten zu arbeiten muss ein Alptraum sein, dachte Gasam. Erleichtert bemerkte er, dass der Gang vor einer großen Steinmauer endete.
»Das ist das Fundament der Stadtmauer. Siehst du die Kante dort? Wir befinden uns an der Südwestecke. Die schwächste Stelle einer Mauer liegt immer in den Ecken.«
Gasam hatte keine Ahnung, warum das so war. Außerdem war es ihm gleichgültig. Hauptsache, der Mann verstand seine Arbeit. »Was geschieht jetzt?«
»Das hängt von deinen Wünschen ab, mein König. Wir können den Gang hindurchbohren und irgendwo in der Stadt ans Tageslicht kommen, so dass du einen Angriff durch den Tunnel vornehmen kannst. Aber ich muss dir mitteilen, dass es ein großes Wagnis bedeutet. Besser wäre es, wenn man viele verschiedene Tunnel hätte. Jetzt, da wir an der Mauer stehen, könnte man uns hören. Jeder Tag vergrößert das Risiko, entdeckt zu werden.«
Der Gedanke, seine Männer in den Tunnel zu schicken, behagte Gasam nicht. Auf so schmaler Front gegen unbekannten Widerstand anzukämpfen widerstrebte ihm sehr.
»Welche anderen Möglichkeiten gibt es?«
»Wir können von hier aus noch tiefer graben, unter der Mauerecke hindurch. Es wird beschwerlich sein, aber innerhalb einiger Tage entsteht ein so großer Hohlraum, dass die ganze Ecke zusammenbricht. Während der Arbeit stützen wir die Mauer mit starken Balken ab, damit sie nicht zu früh einbricht. Ist der
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