Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
bekommen, aber sie sagte, Legendre sei gewöhnlich und sie habe Georges nicht mit so viel Mühe und Liebe aufgezogen, damit er sich jetzt mit einem Mann abgibt, der einen Metzgerladen betreibt. Ich traute meinen Ohren kaum – schließlich steht Legendre ja nicht hinterm Ladentisch und packt blutige Fleischstücke ab. Man sieht ihn nicht einmal mehr in einer Schürze. Er trägt jetzt einen schwarzen Rock wie ein Anwalt und sitzt neben Georges im Rathaus.
Am Morgen sagte Madame Recordain: »Ich erwarte natürlich nicht, ständig etwas zu unternehmen.« Aber wenn wir nichts unternahmen, bemerkte sie am Abend: »Es ist schon eine recht weite Reise, wenn man nur dasitzt und die Wände anstarrt.«
Ich dachte, ich nehme sie mit zu Louise Robert – da Madame so hochnäsig ist und Louise aus so vornehmem Hause. Louise hätte nicht reizender sein können. Sie erwähnte die Republik, Lafayette und Bürgermeister Bailly mit keinem Wort. Stattdessen zeigte sie Madame ihre sämtliche Ware und erklärte ihr, wo all die Gewürze herstammen und wie man sie gewinnt und verarbeitet und wofür sie gut sind, und bot an, ihr ein schönes Päckchen zurechtzumachen, das sie mit nach Hause nehmen konnte. Aber nach zehn Minuten sah Madame drein wie der Zorn Gottes, und ich musste mich bei Louise entschuldigen und gehen. Auf der Straße sagte sie: »Es ist eine Schande, wenn eine Frau unter ihrem Stand heiratet. Es offenbart ihre niedrigen Gelüste. Und es sollte mich nicht wundern, wenn sich herausstellen würde, dass sie gar nicht verheiratet sind.«
Georges sagte: »Dass meine Mutter hier ist, muss ja nicht heißen, dass ich meine Freunde nicht sehen darf, oder? Lade ein paar Leute zum Essen ein. Jemanden, den sie mögen wird. Wie wäre es mit den Gélys? Und der kleinen Louise?«
Ich wusste, dass das ein Opfer für ihn bedeutete, denn er mag Mme Gély nicht besonders; die Überwindung zeigte sich jetzt schon auf seinem Gesicht. Und ich musste ihm sagen: »Nein, sie haben sich schon kennengelernt. Deine Mutter findet Mme Gély albern und geziert und viel zu jugendlich hergerichtet für ihr Alter. Und Louise ist altklug und gehört einmal tüchtig verdroschen.«
»Ach je«, sagte Georges, was für ihn ja sehr milde war. »Wir müssen doch jemand Annehmbares kennen. Meinst du nicht?«
Ich schickte ein Billett an Annette Duplessis. Ob Lucile wohl zu uns zum Essen kommen dürfe, bitte? Georges’ Mutter würde da sein, es würde alles äußerst schicklich ablaufen, sie würde keine Sekunde allein sein mit … Also erhielt Lucile die Erlaubnis zu kommen; sie trug ein weißes Kleid mit blauen Borten, und sie benahm sich geradezu engelhaft und stellte Madame alle möglichen intelligenten Fragen über das Leben in der Champagne. Und Camille war auch so höflich – gut, das ist er fast immer, außer in seiner Zeitung eben (die alten Ausgaben hatte ich natürlich versteckt). Fabre hatte ich ebenfalls eingeladen, weil er ein so geschickter Unterhalter ist – und er gab sich wirklich alle Mühe mit Madame. Aber sie fuhr ihm nur immer wieder über den Mund, und schließlich gab er auf und fing an, sie durch sein Lorgnon anzustarren, was ich ihm streng verboten hatte.
Als wir beim Kaffee saßen, verließ Madame den Raum, und ich fand sie in unserem Schlafzimmer, wo sie mit dem Finger unterm Fensterbrett entlangfuhr, um die Unterseite auf Staub zu überprüfen. Ich fragte sie sehr höflich, ob etwas vorgefallen sei, worauf sie im säuerlichsten Ton antwortete: »Es wird so einiges vorfallen, wenn du dieses Mädchen nicht von deinem Mann fernhältst.«
Ich begriff gar nicht gleich, was sie meinte.
»Und ich kann dir noch etwas versprechen«, fuhr sie fort. »Diesen Jungen hältst du besser auch von deinem Mann fern. Und die zwei wollen heiraten? Das passt.«
Einmal besorgten wir uns Eintrittskarten für die Galerie in der Manege, aber die Debatte war sehr langweilig. Georges sagt, eines der nächsten Themen wird sein, dass Kirchengut durch die Nation in Besitz genommen werden soll, und wenn seine Mutter bei dieser Debatte dabei wäre, würde sie lautstark protestieren und wir würden hinausgeworfen. So nannte sie sie nur Schurken und undankbares Pack und prophezeite, dass es böse enden würde. M. Robespierre sah uns; er gesellte sich für ein paar Minuten zu uns und war sehr freundlich. Er zeigte uns all die wichtigen Leute, einschließlich Mirabeau. Madame sagte: »Dieser Mann wird nach seinem Tod in der Hölle schmoren.«
M. Robespierre
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