Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
sah mich von der Seite an und lächelte, und zu Madame sagte er: »Sie sind eine junge Dame nach meinem Herzen.« Danach war sie bis zum Abend blendend gelaunt.
Die Sache mit Dr. Marat warf noch den ganzen Sommer ihre Schatten über uns. Wir wussten, dass ein Haftbefehl gegen Georges, fertig ausgestellt und unterzeichnet, in einer Schublade im Rathaus Staub fing. Und jeden Morgen dachte ich: Was ist, wenn sie heute beschließen, ihn herauszuholen und den Staub von ihm herunterzublasen? Wir hatten alles geplant – wenn er festgenommen würde, sollte ich sofort eine Tasche packen und zu meiner Mutter gehen, den Wohnungsschlüssel Fabre geben und alles andere ihm überlassen. Warum gerade Fabre, weiß ich nicht – weil er immer da ist, wahrscheinlich.
All das nahm Georges sehr in Anspruch. Er war kaum je in seiner Kanzlei. Jules Paré muss wohl sehr gut sein, denn das Geld floss trotzdem weiter.
Anfang des Jahres geschah etwas, das Georges als Beweis dafür nahm, dass die Obrigkeiten echte Angst vor ihm hatten. Sie schafften unseren Distrikt und all die anderen Distrikte ab und teilten die Stadt stattdessen in Wahlkreise ein. Die Bürger eines Distrikts hatten sich nicht mehr zu treffen, es sei denn, wenn gewählt wurde. Und unser Bataillon in der Nationalgarde durften wir auch nicht mehr »die Cordeliers« nennen. Ab jetzt war es einfach Bataillon Nummer 3.
Georges sagte, es gehöre mehr dazu, die Cordeliers auszumerzen. Er sagte, wir gründen einen eigenen Club, wie die Jakobiner, nur besser. Bürger aus allen Stadtteilen haben Zutritt, sodass niemand ihn illegal nennen kann. Sein offizieller Name ist »Gesellschaft der Menschenrechte und der Bürger«, aber von Anfang an hieß er bei allen nur der Club des Cordeliers. Erst trafen sie sich in einem Ballsaal. Eigentlich wollten sie ihre Treffen im alten Cordeliers-Kloster abhalten, aber die Stadt ließ das Gebäude versiegeln. Dann wurden die Siegel eines Tages ohne ein Wort der Erklärung entfernt, und der Club zog ein. Louise Robert sagte, der Herzog von Orléans habe seine Hand im Spiel gehabt.
Es ist schwer, in den Jakobinerclub hineinzukommen. Der Jahresbeitrag ist hoch, die Aufnahme muss von einer ganzen Anzahl von Mitgliedern befürwortet werden, und die Treffen sind extrem förmlich. Als Georges einmal bei den Jakobinern sprach, kam er sehr verärgert zurück. Sie hätten ihn wie ein Stück Dreck behandelt, sagte er.
Bei den Cordeliers konnte jeder kommen und sprechen. Auf diese Weise zog der Club viele der Schauspieler, Anwälte und Händler aus dem Viertel an, aber auch ziemlich übel aussehende Gesellen, die von der Straße hereinspaziert kamen. Ich war natürlich nie bei einer ihrer Sitzungen dabei, aber ich habe gesehen, was sie mit der Kapelle gemacht haben. So ein kahler, freudloser Raum! Als ein paar Scheiben zu Bruch gingen, dauerte es Wochen, bis sie wieder geflickt waren. Ich dachte, wie seltsam die Männer doch sind. Daheim wollen sie es gemütlich haben, und draußen tun sie so, als wäre ihnen alles gleich. Der Tisch des Präsidenten ist eine Tischlerbank, die bei ihrem Einzug zufällig dort herumstand. Georges hätte sich mit einem Tischler nicht viel zu sagen, das kommt alles nur von den gegenwärtigen Unruhen. Das Rednerpult im Club besteht aus vier groben Holzbalken mit einem Brett drum herum. An die Wand hat jemand einen Kattunstreifen genagelt, auf dem mit roter Farbe gemalt steht: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit .
Nach allem, was ich von Georges’ Mutter auszustehen hatte, war ich ganz verzweifelt, als er sagte, wir sollten für einige Zeit nach Arcis fahren. Zu meiner großen Erleichterung wohnten wir bei seiner Schwester Anne Madeleine, und zu meinem Erstaunen wurden wir überall mit der äußersten Ehrerbietung und Achtung empfangen. Es war fast ein wenig unheimlich. Anne Madeleines Freundinnen knicksten praktisch vor mir. Erst dachte ich, die Einheimischen müssten von Georges’ Erfolgen als Distriktspräsident gehört haben, aber mir wurde schnell klar, dass sie keinerlei Pariser Zeitungen lesen und sich auch sonst kaum für die dortigen Ereignisse interessieren. Und die Leute stellten mir so merkwürdige Fragen, etwa, was die Lieblingsfarbe der Königin sei oder was sie gerne esse. Eines Tages fiel es mir dann wie Schuppen von den Augen: »Georges«, sagte ich, »sie denken, weil du ein königlicher Rat bist, heißt das, der König bestellt dich jeden Tag zu sich und fragt dich um Rat.«
Einen Moment lang schien er
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