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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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sagt meine Mutter zu mir, »kannst deine Chance doch nutzen, diese Spitzen und Korsette loszuwerden.« Das sehe ich anders. Seit Antoines Geburt bin ich aus dem Leim gegangen.
    Als Schmuck trägt man dieses Jahr einen Steinsplitter von der Bastille, als Brosche oder Kettenanhänger gefasst. Félicité de Genlis hat eine Brosche, auf der in Diamanten das Wort LIBERTÉ steht – der Abgeordnete Pétion hat sie mir beschrieben. Unsere prächtigen Fächer benutzen wir auch nicht mehr; jetzt sind sie aus billigen Holzstäben und Faltpapier, auf dem grellfarbige patriotische Szenen abgebildet sind. Ich muss gut aufpassen, dass ich keine Szenen erwische, die nicht mit den Ansichten meines Mannes übereinstimmen. Bürgermeister Bailly mit Lorbeerkranz ist tabu, ebenso Lafayette auf einem Schimmel; Herzog Philippe dagegen, die Erstürmung der Bastille oder Camille bei seiner Rede im Palais Royal sind genehmigt. Aber was soll ich mit Camilles Bild auf meinem Fächer, wenn ich ständig das Original um mich habe?
    Am Morgen nach den Bastille-Feierlichkeiten stand plötzlich Lucile bei uns in der Wohnung und wrang den Saum ihres Kleides aus. Ihre blau-weiß-roten Bänder waren völlig verdreckt. Unter dem dünnen Musselin zeichnete sich schockierend deutlich ihre Figur ab, und an Unterwäsche schien sie so gut wie gar nichts am Leib zu tragen. Was hätte Georges’ Mutter nur gesagt? Ich war selbst recht streng mit ihr – ich ließ ein Feuer anzünden und nahm ihre Kleider und hüllte sie in die wärmste Decke ein, die ich finden konnte. Zu meinem Leidwesen muss ich sagen, dass Lucile in einer Decke ganz entzückend aussieht. Sie hatte die nackten Füße unter sich gezogen wie eine Katze.
    »Was für ein Kind sind Sie doch«, sagte ich. »Dass Ihre Mutter Sie in solchen Kleidern auf die Straße lässt!«
    »Sie sagt, ich muss aus meinen Fehlern lernen.« Sie streckte zwei weiße Arme unter der Decke hervor. »Lassen Sie mich das Kind halten.«
    Ich gab ihr meinen kleinen Antoine. Sie schnäbelte und gurrte ein Weilchen mit ihm herum. »Camille ist jetzt schon ein ganzes Jahr berühmt«, sagte sie trübsinnig, »und wir sind dem Heiraten keinen Schritt nähergekommen. Ich dachte, wenn ich schwanger würde, könnte das die Dinge vielleicht beschleunigen. Aber – würden Sie’s glauben – ich kriege ihn nicht ins Bett. Sie machen sich keine Vorstellung davon, wie Camille ist, wenn er einen seiner Rechtschaffenheitsanfälle hat. John Knox war nichts dagegen.«
    »Schlimm sind Sie«, sagte ich. Mehr der Form halber, muss ich gestehen. Ich mag sie; man kann nicht anders, als sie zu mögen. Oh, ich bin keine vollkommene Närrin, ich weiß, mit welchen Blicken Georges sie ansieht, aber das tun alle Männer. Camille wohnt jetzt gleich um die Ecke von uns. Er hat eine recht hübsche Wohnung, muss man sagen, und eine sehr grimmig aussehende Frau namens Jeanette, die ihm das Haus führt. Ich weiß nicht, woher er sie hat, aber sie kocht gut und hilft gern bei uns aus, wenn wir viele Leute zum Essen dahaben. Hérault de Séchelles besucht uns oft dieser Tage, und dann gebe ich mir natürlich besondere Mühe. Er hat so vornehme Manieren, eine angenehme Abwechslung zu Fabres ganzen Theaterfreunden. Es kommen auch verschiedene Abgeordnete und Journalisten, und ich habe verschiedene Meinungen zu ihnen, die ich zumeist für mich behalte. Georges steht auf dem Standpunkt, dass es auf die Persönlichkeit nicht so sehr ankommt, solange einer nur Patriot ist. Das sagt er, aber Billaud-Varennes geht er möglichst doch aus dem Weg. Falls jemand sich nicht erinnert: Billaud hat Georges früher gelegentlich in der Kanzlei zugearbeitet. Seit der Revolution schaut er eine Spur weniger griesgrämig drein. Sie scheint ihm eine Art fester Beschäftigung zu verschaffen.
    Eines Abend im Juli kam ein Mann namens Collot d’Herbois zum Essen. Sonderbar – seit wann gibt es Menschen ohne Vornamen? Nun, aber wir sollten ihn Collot nennen. Er war ein Schauspieler und Stückeschreiber wie Fabre, er hatte als Theaterdirektor gearbeitet wie Fabre, und sogar vom Alter her waren sie nahezu gleich. Er hatte gerade ein Stück am Théâtre de Monsieur laufen, Die Patriotenfamilie hieß es. Es war eins dieser Stücke, die über Nacht die große Mode werden, und wir durften uns den ganzen Abend nicht anmerken lassen, dass wir es alle nicht gesehen hatten. Es war ein großer Kassenerfolg, aber das machte Collot nicht weniger unerträglich. Er bestand darauf, uns seine

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