Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
sprachlos. Dann lachte er: »Meinst du? Die Guten! Und ich muss in Paris leben, unter all diesen Schlaumeiern und Zynikern. Noch vier, fünf Jahre, Gabrielle, dann komme ich hierher zurück und werde Bauer. Wir kehren Paris für immer den Rücken. Wie würde dir das gefallen?«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Einerseits dachte ich, wie wunderbar, wegzukommen von den Zeitungen und den Fischweibern und der Kriminalität und der ständigen Knappheit in den Geschäften. Aber dann dachte ich: jeden Tag Besuch von Mme Recordain? Also sagte ich lieber gar nichts – ich merkte ja ohnehin, dass es nur eine Laune von ihm war. Ich meine, wird er die Cordeliers aufgeben? Wird er die Revolution aufgeben? Bald genug konnte ich sehen, dass er unruhig wurde. Und dann sagte er eines Abends: »Morgen fahren wir zurück.«
Trotzdem sah er sich zusammen mit seinem Stiefvater etliche Grundstücke an und ließ den Notar einen Kaufvertrag für ein Stück Land in der Gegend aufsetzen. M. Recordain sagte: »Laufen wohl gut, deine Geschäfte, wie?« Georges lächelte nur.
Dieser Sommer wird mir bis an mein Lebensende im Gedächtnis bleiben. Insgeheim war ich voll Sorge, denn im Herzensgrund glaube ich, was auch geschieht, wir müssen König und Königin und der Kirche die Treue halten. Aber wenn es nach dem Willen des Volkes geht, dann wird die Manege bald mehr zu sagen haben als der König, und die Kirche wird nur noch eine Regierungsabteilung sein. Ich weiß, dass wir den Obrigkeiten gehorchen sollten und dass Georges sich ihnen schon oft widersetzt hat. Das ist seine Natur; schon in der Schule, erzählte mir Paré, pflegten sie ihn den »Aufwiegler« zu nennen. Wir alle müssen natürlich gegen die schlimmsten Seiten unserer Natur ankämpfen – aber wo bleibe ich derweil? Denn ich schulde ja meinem Gatten Gehorsam, es sei denn, er verlangt von mir, dass ich sündige. Und ist es eine Sünde, für Leute Essen zu kochen, die die Königin zurück nach Österreich schicken wollen? Als ich meinen Beichtvater deshalb um Rat gefragt habe, sagte er, ich solle bei meinem ehelichen Gehorsam bleiben und meinen Gatten zum katholischen Glauben zurückführen. Das war keine Hilfe. Also beuge ich mich nach außen hin Georges’ sämtlichen Ansichten, aber in meinem Herzensgrund widerrufe ich – und jeden Tag bete ich, er möge zumindest ein paar seiner Ansichten ändern.
Und doch scheint es das Leben so gut mit uns zu meinen. Immerzu gibt es etwas zu feiern. Als der Sturm auf die Bastille sich jährte, schickte jede Stadt Frankreichs Abordnungen nach Paris. Ein großes Amphitheater wurde auf dem Marsfeld aufgebaut, und ein Altar wurde errichtet, den sie den Vaterlandsaltar nannten. Der König trat vor ihn und legte einen Eid auf die Verfassung ab, und der Bischof von Autun las das Hochamt. (Ein Jammer, dass er Atheist ist.) Wir selbst nahmen nicht teil; Georges sagte, er wolle nicht zuschauen, wie die Leute Lafayette die Füße küssten. Wo früher die Bastille stand, wurde getanzt, und abends wurde überall in unserem Viertel gefeiert, und wir zogen von einem Fest zum anderen und blieben die ganze Nacht auf. Ich war richtig betrunken, alle lachten über mich. Und immerfort goss es in Strömen, und jemand dichtete einen Vers darüber, dass der liebe Gott sich nun endgültig als Aristokrat zu erkennen gegeben habe. Ich werde nie vergessen, welch absurdes Unterfangen es war, in dieser Sintflut Feuerwerkskörper zünden zu wollen, und wie Georges mich zuletzt nach Hause führte – ich schwer auf seinen Arm gestützt, und die Pflastersteine nass und rutschig, und der Himmel im Osten schon hell. Am nächsten Tag stellte ich fest, dass meine neuen Satinschuhe Wasserränder bekommen hatten; sie waren völlig verdorben.
Wir sind kaum noch wiederzuerkennen seit letztem Jahr. Einige sehr elegante Damen pudern sich ihre Haare nicht mehr, und statt sie hochzustecken, tragen sie sie offen und gelockt. Viele Herren haben ebenfalls dem Puder abgeschworen, und Spitze ist ganz außer Mode. Kaum jemand schminkt sich mehr; wie sie es bei Hofe halten, weiß ich nicht, aber in meiner Bekanntschaft ist Louise Robert die einzige Frau, die noch Rouge auflegt. Zugegeben, ihr Teint ohne Rouge ist alles andere als blühend. Wir schneidern unsere Kleider aus den einfachsten Stoffen, und die Modefarben sind unsere Nationalfarben, Rot, Weiß und Blau. Mme Gély findet, die neue Mode kleidet ältere Frauen nicht sehr, und meine Mutter gibt ihr da recht. »Aber du«,
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