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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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legt an alle so hohe Maßstäbe an. Werden Sie ihnen gerecht werden können, wenn Sie seine Schwiegermutter sind?«
    »Oh, das … Da ist noch nichts spruchreif.«
    »Kann Adèle sich zu keiner Antwort durchringen?«
    »Ihr ist noch keine Frage gestellt worden.«
    »Das heißt, stillschweigendes Einverständnis«, sagte Danton.
    »Ich weiß nicht, ob Max glaubt, er hätte sie gefragt – nein, ich sollte besser ganz still sein. Sie brauchen gar nicht so die Augenbrauen hochzuziehen. Wie kann eine bloße Frau so reden, dass ein Abgeordneter sie versteht?«
    »Oh, ›bloße Frauen‹ gibt es nicht mehr. Letzte Woche haben Ihre beiden Schwiegersöhne-in-spe mich an die Wand debattiert. Wie ich seitdem weiß, sind Frauen den Männern in jeder Hinsicht ebenbürtig. Es mangelt ihnen nur an Gelegenheit.«
    »Ja«, sagte sie. »Das hat alles diese dürre, rechthaberische Louise Robert losgetreten, die nicht weiß, was sie da anrichtet. Warum sollten die Männer ihre Zeit mit der Frage vertun, ob die Frauen ihnen ebenbürtig sind oder nicht? Das geht gegen ihre eigenen Interessen.«
    »Robespierre ist frei von Eigeninteressen. Wie immer. Und Camille sagt mir, dass wir den Frauen das Stimmrecht geben müssen. Bald werden sie in der Manege sitzen, mit schwarzen Hüten auf dem Kopf und Aktenkoffern in der Hand, und sich über das Steuersystem auslassen.«
    »Und das Leben wird noch prosaischer.«
    »Keine Angst«, sagte er. »Wir kommen schon noch zu unseren schmuddeligen kleinen Tragödien.«
    Aber steckt hinter dieser Revolution denn eine Philosophie?, wollte Lucile wissen. Hat sie eine Zukunft?
    Robespierre fragte sie lieber nicht, um sich nicht den ganzen Nachmittag über den Gemeinwillen belehren lassen zu müssen. Und Camille lieber auch nicht, aus Angst vor einem wohldurchdachten, flüssigen Zwei-Stunden-Vortrag über die Entstehung der römischen Republik. Also fragte sie Danton.
    »Oh, ich glaube schon, dass sie eine Philosophie hat«, sagte er ernsthaft. »Nimm mit, was du kannst, und spring ab, solange noch Zeit ist.«
    DEZEMBER 1790: Claude änderte seine Meinung. Er änderte sie an einem düsteren Dezembertag, an dem eisengraue Wolken mit schneegeblähten Bäuchen über den Dächern und Schornsteinen der Stadt schleiften.
    »Ich halte das nicht mehr aus«, sagte er. »Lassen wir sie heiraten, bevor ich vor Erschöpfung sterbe. Drohungen, Tränen, Versprechungen, Ultimaten … Noch ein Jahr überlebe ich das nicht, ich überlebe es ja nicht einmal mehr eine Woche. Ich hätte gleich zu Beginn durchgreifen sollen – aber jetzt ist es zu spät. Wir werden das Beste daraus machen müssen, Annette.«
    Annette ging ins Zimmer ihrer Tochter. Lucile kritzelte versunken vor sich hin. Sie sah auf, erschrocken und schuldbewusst, und deckte das Geschriebene mit der Hand ab. Ein Tintenklecks breitete sich auf dem Blatt aus.
    Als Annette ihr die Botschaft überbrachte, starrte sie ihre Mutter verständnislos an, die dunklen Augen weit aufgerissen. »So einfach?«, flüsterte sie. »Claude ändert einfach seine Meinung, und alles wird gut? Irgendwie hatte ich begonnen zu denken, es müsste viel komplizierter sein.« Sie drehte das Gesicht weg. Sie fing an zu weinen. Sie ließ den Kopf auf ihr Tagebuch sinken und die Tränen über die verbotenen Worte fließen: Mochten sie ihre Absätze salzen, mochten sie die Buchstaben wegschwemmen! »Das ist die Erleichterung«, sagte sie. »Nur die Erleichterung.«
    Ihre Mutter hinter ihr fasste sie bei den Schultern und kniff sie dabei, versehentlich, aber doch voller Rachsucht. »So, jetzt hast du, was du wolltest. Dann lässt du jetzt aber auch diesen Unsinn mit M. Danton! Ab sofort benimmst du dich.«
    »Ich werde die Tugend in Person sein.« Sie setzte sich aufrecht hin. »Also, packen wir’s an.« Sie rieb sich mit dem Handrücken über die Wangen. »Wir werden vom Fleck weg heiraten.«
    »Vom Fleck weg? Aber was sollen die Leute denken? Und außerdem haben wir Advent. Im Advent kann man nicht heiraten.«
    »Wir holen uns einen Dispens. Und was die Leute denken, ist ihr Problem. Darüber kann ich mir nicht den Kopf zerbrechen. Es entzieht sich meinem Einfluss.«
    Lucile sprang auf. Sie konnte ihre Gefühle nicht länger im Zaum halten. Lachend und weinend rannte sie durchs Haus, knallte mit Türen. Camille traf ein. Er blinzelte ungläubig. »Warum hat sie Tinte an der Stirn?«, fragte er.
    »Man könnte es vielleicht als eine zweite Taufe sehen«, sagte Annette. »Oder als das

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