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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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nicht in Robespierres Nähe lassen«, sagte Camille zu Lucile. »Louis ist einer der besten Männer der Welt, aber ich fürchte, Max verstünde das nicht.«
    Louis besaß echte Vornehmheit, fand Lucile. Er hatte Schliff, er hatte Lebensart, er hatte Ausstrahlung. Sehr bald hatte er auch eine Plattform: als Redaktionsmitglied eines royalistischen Skandalblattes, das sich Les Actes des Apôtres nannte, die »Apostelgeschichte«. Die Deputierten, die in der Nationalversammlung links vom Gang saßen, bezeichneten sich gern als Apostel der Freiheit, und Louis war der Meinung, dass solche Hybris bestraft gehörte. Wer schrieb für die Actes ? Ein Klüngel von ausgelaugten Lebemännern und ihres Amtes enthobenen Priestern, behaupteten die verprellten Patrioten. Wie kam das Blatt überhaupt zustande? Indem es »Abendmähler« im Restaurant du Mais und im Beauvilliers abhielt, bei denen Klatsch ausgetauscht und die nächste Ausgabe geplant wurde. Man lud die Gegner ein und schenkte ihnen großzügig nach, um ihnen die Zunge zu lockern. Das Prinzip leuchtete Camille ein: ein Informationshäppchen hier, ein Tauschgeschäft da, und viel Gelächter auf Kosten der Langweiler und Wichtigtuer, die sich zu produzieren versuchten. Nicht selten fand ein Bonmot, das die Révolutions bei sich nicht unterbrachten, Verwendung in den Actes . »Lieber Camille«, sagte Louis, »wenn du nur vollständig zu uns überlaufen würdest. Eines Tages werden wir ganz sicher einer Meinung sein. Was willst du mit diesem Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeits-Gewäsch? Kennst du unser Manifest? ›Freiheit, Lebenslust, königliche Demokratie‹. Letztlich wollen wir doch beide dasselbe – wir wollen, dass die Menschen glücklich sind. Was nutzt eine Revolution, wenn sie nur lange Gesichter hervorbringt? Was nutzt eine Revolution, die von armseligen kleinen Männern in armseligen kleinen Stuben gesteuert wird?«
    Freiheit, Lebenslust, königliche Demokratie. Die Damen Duplessis gaben ihre Garderobe für den Herbst 1790 in Auftrag. In schwarzer Seide mit scharlachroten Schärpen und halblangen Jacken mit blau-weiß-roten Paspeln besuchten sie Premieren, Soupers, Privatvorführungen. Schlossen neue Bekanntschaften …
    Noch im Sommer jedoch kam Antoine Saint-Just nach Paris. Nicht für immer, nur auf Besuch: Lucile brannte darauf, ihn kennenzulernen. Sie hatte die Geschichten über ihn gehört – wie er sich mit dem Familiensilber davongemacht und das Geld innerhalb von zwei Wochen durchgebracht hatte. Sie war nur zu bereit, ihn zu mögen.
    Er war nun zweiundzwanzig. Die Geschichte mit dem Silber lag drei Jahre zurück. Hatte Camille sie sich am Ende nur ausgedacht? Es schien kaum glaublich, dass ein Mensch sich so verändert haben konnte. Sie sah an Saint-Just hoch – er war groß – und war frappiert von seiner unbeteiligten Miene. Auch als sie einander vorgestellt wurden, verriet sein Blick nicht das geringste Interesse an ihr. Er war mit Robespierre da; anscheinend standen die zwei miteinander in Korrespondenz. Sehr seltsam, dachte sie – die meisten Männer überschlugen sich fast vor Eifer, ihr mehr zu entlocken als die ganz normale Alltagsverbindlichkeit. Nicht, dass sie es ihm übelnahm; es stellte einfach eine Abwechslung dar.
    Saint-Just war gutaussehend. Er hatte Samtaugen und ein schläfriges Lächeln; er bewegte sich sehr bedachtsam, wie es die Art mancher hochgewachsener Männer ist. Seine Haut war hell, sein Haar dunkelbraun – wenn sein Gesicht einen Makel hatte, dann war es das Kinn, das zu groß war, zu lang. Es bewahrte ihn davor, zu hübsch zu sein, aber aus bestimmten Blickwinkeln verlieh es seinen Zügen etwas sonderbar Unausgewogenes.
    Camille war natürlich bei ihr. Er war in einer prekären Stimmung: zum Scherzen aufgelegt, aber dabei streitsüchtig. »In letzter Zeit irgendwelche Gedichte geschrieben?«, erkundigte er sich. Vor einem Jahr hatte Saint-Just ein Versepos veröffentlicht und es Camille zur Beurteilung geschickt: Es war endlos gewesen, brutal und leicht obszön.
    »Wieso? Würdest du sie lesen wollen?« Saint-Just machte ein hoffnungsvolles Gesicht.
    Camille schüttelte langsam den Kopf. »Die Folter ist abgeschafft worden«, sagte er.
    Saint-Justs Lippen verzogen sich. »Ich nehme an, du hast mein Gedicht als anstößig empfunden. Ich nehme an, du fandest es pornographisch.«
    »Zu viel der Ehre«, erwiderte Camille mit einem Lachen.
    Ihre Blicke trafen sich. Saint-Just sagte: »Mein Gedicht hat eine ernsthafte

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