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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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Aussage gemacht. Denkst du, ich würde meine Zeit verschwenden?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Camille, »ob du das tätest oder nicht.«
    Luciles Mund wurde trocken. Sie sah zu, wie sich die beiden Männer mit den Blicken niederzuzwingen versuchten: Saint-Just wächsern, passiv, abwartend, Camille blitzenden Auges, voll nervöser Angriffslust. Das hat nichts mehr mit Gedichten zu tun, dachte sie. Auch Robespierre wirkte leicht beunruhigt. »Du bist sehr streng, Camille«, sagte er. »Irgendetwas Gutes muss sich darüber doch sagen lassen.«
    »Nichts, nicht ein Wort«, sagte Camille. »Aber wenn du möchtest, Antoine, kann ich dir ein paar Kostproben meiner eigenen frühen Etüden zukommen lassen, damit du dich nach Herzenslust darüber mokieren kannst. Du bist im Zweifel ein besserer Dichter, als ich einer war, und du wirst mit Sicherheit der bessere Politiker sein. Denn sieh dich an: welche Selbstbeherrschung. Du würdest mich am liebsten ohrfeigen, aber du erlaubst es dir nicht.«
    Saint-Just betrachtete ihn mit unergründlichem Ausdruck.
    »Habe ich dich sehr gekränkt?« Camille versuchte reuig zu klingen.
    »Oh, tief.« Saint-Just lächelte. »Ich bin bis ins Mark verwundet. Denn liegt es nicht auf der Hand, dass du der einzige Mensch auf Erden bist, auf dessen gute Meinung es mir ankommt? Du, ohne den keine aristokratische Tischgesellschaft vollzählig ist?«
    Saint-Just wandte sich ab und redete mit Robespierre. »Warum konnten Sie nicht ein bisschen gütig sein?«, flüsterte Lucile ihm zu.
    Camille zuckte die Achseln. »Als Freund wäre ich gütig gewesen. Aber er hat sich an den Redakteur gewandt, nicht an den Freund. Er wollte, dass ich in der Zeitung einen Lobgesang auf seine Begabung anstimme. Ihm ging es nicht um meine persönliche, sondern um meine professionelle Meinung. Also habe ich sie ihm gesagt.«
    »Was ist passiert? Ich dachte, Sie mögen ihn?«
    »Er war nett. Er hat sich verändert. Früher steckte er voller verrückter Ideen und war ständig in irgendwelche Frauengeschichten verstrickt. Aber schauen Sie ihn jetzt an, wie gravitätisch er geworden ist. Ich wünschte, Louis Suleau könnte ihn sehen, er ist das Musterexemplar des trübseligen Revolutionärs. Er ist Republikaner, sagt er. In seiner Republik möchte ich nie und nimmer leben.«
    »Vielleicht würde er Sie gar nicht lassen.«
    Später hörte sie Saint-Just zu Robespierre sagen: »Er ist frivol.«
    Frivol … Für Lucile verband sich das Wort mit ausgelassenen Sommerpicknicks oder champagnerperlenden Diners nach dem Theater, bei denen sich raschelnde, erhitzte, noch nicht abgeschminkte Schauspielerinnen neben ihr niedersetzten und ihr zuwisperten: Man sieht, dass Sie sehr verliebt sind, er ist so ein schöner Mann, ich hoffe, Sie werden glücklich. So wie jetzt hatte sie es noch nie vorgebracht gehört: als Anklage, drohend, aufgeladen mit Verachtung.
    In diesem Jahr machte die Nationalversammlung Bischöfe und Priester zu öffentlichen Beamten, die ins Amt gewählt und vom Staat bezahlt wurden; etwas später schrieb sie ihnen auch noch den Eid auf die Verfassung vor. Manchen erschien es ein Fehler, die Geistlichen so in die Enge zu treiben – abzulehnen bedeutete für sie, als unloyal und gefährlich gebrandmarkt zu werden. Bei den kleinen Nachmittagssalons von Luciles Mutter war man sich einig, dass religiöser Zwist die wohl zerstörerischste Kraft sei, die sich in einer Nation nur entfesseln ließ.
    Von Zeit zu Zeit seufzte ihre Mutter über die neuen Entwicklungen. »Das Leben wird so prosaisch«, beschwerte sie sich. »Immer nur die Verfassung und hehre Gedanken und Quäkerhüte.«
    »Was wäre Ihnen denn lieber?«, fragte Danton sie. »Reiherfedern und wilde Leidenschaft in der Manege? Wüste Szenen in der Kommune? Liebe und Tod?«
    »Ach, lachen Sie nicht. Unsere romantischen Vorstellungen sind aufs herbste enttäuscht worden. Da haben wir die Revolution, den fleischgewordenen Geist Rousseaus, dachten wir …«
    »Und stattdessen ist es nur M. Robespierre mit seinen kurzsichtigen Augen und seinem Provinzakzent.«
    »Nein, nur lauter Leute, die über ihre Bankkonten reden.«
    »Wer hat bei Ihnen über meine Angelegenheiten geplaudert?«
    »Die Wände und Türpfosten erzählen schon von Ihnen, M. Danton.« Sie hielt inne, berührte ihn am Arm. »Sagen Sie mir eins: Haben Sie etwas gegen Max?«
    »Ob ich etwas gegen ihn habe?« Er klang überrascht. »Ich glaube nicht. Er ist mir nicht ganz geheuer, das trifft es eher. Er

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