Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
wert sein.« Er blickte auf. »Was ist denn mit den anderen Schauspielern passiert? Wollten Sie ein Stück aufführen?«
Er hätte sich darauf gefreut. Das Leben war so ereignislos, so langweilig.
Fabre erhob sich ziemlich unvermittelt von seinem Hocker und machte eine obszöne Geste in Richtung Bar-sur-Seine. »Zwei unserer höchstgelobten Schauspieler modern wegen Trunkenheit und unziemlichem Verhalten in einem Dorfkerker vor sich hin. Unsere Hauptdarstellerin ist schon vor Monaten von einem drögen Hinterwäldler geschwängert worden und jetzt nur noch in den allervulgärsten Komödien einsetzbar. Wir haben uns aufgelöst. Vorübergehend.« Er setzte sich wieder. »Aber du« – seine Augen leuchteten interessiert auf – »du würdest nicht zufällig gern von zu Hause weglaufen und Schauspieler werden?«
»Eher nicht. Meine Familie erwartet, dass ich Priester werde.«
»Oh, das lässt du mal besser bleiben«, sagte Fabre. »Weißt du, wie die Bischöfe ausgesucht werden? Nach ihrer Ahnenreihe. Hast du eine Ahnenreihe vorzuweisen? Du bist doch ein Junge vom Land. Warum einen Beruf wählen, in dem man nicht ganz nach oben gelangen kann?«
»Könnte ich das denn als Wanderschauspieler?«
Er fragte es ganz höflich, als wäre er bereit, jede Möglichkeit in Betracht zu ziehen.
Fabre lachte. »Du könntest die Schurken spielen. Du würdest gut ankommen. Deine Stimme« – er klopfte sich auf die Brust – »hat Potenzial. Lass sie von hier unten kommen.« Er schlug sich mit der Faust unterhalb des Zwerchfells auf den Bauch. »Atme von hier unten. Stell dir deinen Atem wie einen Fluss vor. Lass ihn einfach fließen, fließen. Alles steht und fällt mit dem Atmen. Entspann dich, so, schau, lass die Schultern hängen. Wenn du von hier unten atmest« – er stieß sich den Finger in den Bauch – »kannst du stundenlang sprechen.«
»Ich wüsste nicht, wozu ich das können sollte«, sagte Danton.
»Oh, ich weiß, was du denkst. Du denkst, Schauspieler sind das Letzte, stimmt’s? Du denkst, Schauspieler sind wandelnder Dreck. Wie die Protestanten. Wie die Juden. Dann sag mir mal, mein Junge, was an deiner Position so großartig ist? Wir sind alle Würmer, wir sind alle Dreck. Ist dir klar, dass du morgen für den Rest deines Lebens eingesperrt werden könntest, wenn der König seinen Namen unter ein par Zeilen setzen würde, die er nicht einmal gelesen hat ?«
»Warum sollte er das tun?«, sagte Danton. »Ich habe ihm dazu keinen Anlass gegeben. Ich gehe einfach nur zur Schule.«
»Ja«, sagte Fabre. »Genau. Sieh einfach zu, dass du in den nächsten vierzig Jahren keinerlei Aufmerksamkeit erregst. Er braucht dich gar nicht zu kennen, herrje, das ist es doch gerade – verstehst du das denn nicht? Was bringt man euch denn heutzutage bei in der Schule? Jeder – jeder auch nur halbwegs bedeutende Mann, der dich nicht mag und dich aus dem Weg schaffen will, kann mit einem Dokument zum König gehen – bitte hier unterschreiben, Euer Blödheit –, und schon sitzt du in der Bastille, fünfzehn Meter unter der Rue Saint-Antoine in Gesellschaft von ein paar verblichenen Knochen an die Wand gekettet. Nein, du kriegst keine Zelle für dich allein, denn da macht sich keiner die Mühe, die alten Skelette wegzuräumen. Wusstest du, dass es da unten eine besondere Sorte Ratten gibt, die die Gefangenen bei lebendigem Leibe frisst?«
»Was, so richtig Stück für Stück?«
»Aber ja«, sagte Fabre. »Erst den kleinen Finger. Dann den kleinen Zeh.«
Ihre Blicke trafen sich, und Fabre lachte schallend, zerknüllte eine misslungene Zeichnung und warf sie über die Schulter. »Verflucht noch mal«, sagte er, »das ist wirklich harte Arbeit, euch Provinzler zu bilden. Ich weiß nicht, warum ich nicht einfach nach Paris gehe und dort mein Glück mache.«
Georges-Jacques sagte: »Ich habe auch vor, so bald wie möglich nach Paris zu gehen.« Die Stimme mit dem großen Potenzial erstarb in seiner Kehle; bis eben, da er es ausgesprochen hatte, war ihm sein Vorhaben nicht bewusst gewesen. »Vielleicht begegnen wir uns dort ja wieder.«
»Aber ganz gewiss«, sagte Fabre. Er hielt die weniger gut gelungene Porträtzeichnung hoch. »Ich habe dein Gesicht ja jetzt in meinen Akten. Ich werde nach dir Ausschau halten.«
Der Junge streckte ihm seine riesige Hand entgegen. »Ich heiße Georges-Jacques Danton.«
Fabre blickte auf, und seine bewegliche Miene war einen Moment lang ruhig. »Auf Wiedersehen«, sagte er. »Studiere die
Weitere Kostenlose Bücher