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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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Geldtruhen, die er in sein Arbeitszimmer heraufschaffen ließ; als er sie öffnete, drang ein leicht modriger Geruch hervor. Camille sagte: »So riecht also die Tyrannei.« Sein Vater schob seine eigene Arbeit beiseite und stöberte in den Truhen; behutsam hielt er die vergilbten alten Papiere gegen das Licht. Clément, der Jüngste, glaubte, er suche nach einem verborgenen Schatz.
    Der Prinz von Condé, der vornehmste Adlige des Arrondissements, suchte Maître Desmoulins in dessen äußerst bescheidenem, mit Büchern angefülltem, hohem weißen Haus an der Place des Armes persönlich auf. Normalerweise hätte er seinen Liegenschaftsverwalter geschickt, doch er war neugierig auf den Mann, der so gute Arbeit für ihn leistete. Außerdem würde es der gute Mann nicht mehr wagen, eine Rechnung zu stellen, wenn er ihm die Ehre eines persönlichen Besuchs erwiesen hatte.
    Es war ein Spätnachmittag im Herbst. Ein Glas dunklen Rotwein in der Hand anwärmend, räkelte sich der Prinz leicht angeheitert im sanften Kerzenlicht und war sich dabei seiner Herablassung wohl bewusst; der Abend kroch ins Haus und malte Schatten in die Zimmerecken.
    »Was wollen Sie und Ihresgleichen eigentlich?«, fragte er.
    »Nun …« Maître Desmoulins bedachte diese grundlegende Frage. »Leute wie ich, Vertreter der höheren Berufsstände, hätten wohl gern ein größeres Mitspracherecht – oder lassen Sie es mich so ausdrücken: Wir würden es begrüßen, dienen zu dürfen.« Ein berechtigter Wunsch, dachte er; unter dem alten König waren Adlige nie Minister gewesen, aber inzwischen war fast jeder Minister ein Adliger. Staatsbürgerliche Gleichstellung, sagte er. Fiskalische Gleichstellung. Condé zog die Augenbrauen hoch. »Sie wollen, dass wir Ihre Steuern für Sie bezahlen?«
    »Nein, Monseigneur, wir wollen, dass Sie Ihre eigenen Steuern bezahlen.«
    »Das tue ich«, sagte Condé. »Ich zahle schließlich die Kopfsteuer. Diese Geschichte mit der Eigentumssteuer ist purer Unfug. Also, was sonst noch?«
    Desmoulins machte eine, so hoffte er, aussagekräftige Geste. »Gleiche Möglichkeiten. Mehr nicht. Die gleichen Möglichkeiten, in der Armee oder in der Kirche aufzusteigen …« Ich erkläre es so einfach wie möglich, dachte er. Das ABC der Aspirationen.
    »Gleiche Möglichkeiten? Das ist doch wider die Natur.«
    »Andere Nationen handhaben das anders. Schauen Sie nach England. Man kann wohl kaum sagen, dass es ein Wesenszug des Menschen ist, sich unterdrücken zu lassen.«
    »Sich unterdrücken zu lassen? Halten Sie sich für unterdrückt?«
    »Ich fühle mich unterdrückt, und wenn ich mich so fühle, wie muss es dann erst den Armen gehen?«
    »Die Armen fühlen gar nichts«, sagte der Prinz. »Jetzt werden Sie mal nicht sentimental. Die interessieren sich nicht für die Staatskunst. Denen geht es nur um eines, nämlich darum, einen vollen Bauch zu haben.«
    »Selbst wenn es ihnen nur um einen vollen Bauch ginge –«
    »Und Ihr Anwälte«, sagte Condé, »interessiert euch doch gar nicht für die Armen – oder nur insoweit, als sie euch Argumente liefern. Ihr wollt doch nur, dass man euch Konzessionen macht.«
    »Es geht hier nicht um Konzessionen, sondern um die natürlichen Rechte des Menschen.«
    »Schöne Phrasen. Mit denen gehen Sie ja sehr generös um.«
    »Gedankenfreiheit, Redefreiheit – ist das denn zu viel verlangt?«
    »Es ist verdammt viel verlangt, und das wissen Sie genau«, sagte Condé missgelaunt. »Das Bedauerliche ist, dass ich solche Sachen auch von meinesgleichen höre. Gepflegte Ideen für eine gesellschaftliche Neuordnung. Gefällige Pläne für eine ›Gemeinschaft der Vernunft‹. Und Louis ist schwach. Wenn er den kleinen Finger gibt, wird irgendein Cromwell die ganze Hand nehmen. Am Ende steht die Revolution. Und das wird kein Vergnügen.«
    »So weit wird es doch sicher nicht kommen?«, sagte Jean-Nicolas. Aus dem Augenwinkel sah er, dass sich im Halbdunkel etwas bewegte. »Gütiger Himmel«, sagte er. »Was machst du denn da?«
    »Ich lausche«, sagte Camille. »Tja – hättest du geguckt, dann hättest du mich gesehen.«
    Maître Desmoulins errötete. »Mein Sohn«, sagte er. Der Prinz nickte. Camille trat ins Kerzenlicht. »Und«, sagte der Prinz, »hast du etwas dazugelernt?« Er hielt Camille offenkundig für jünger, als er es war. »Wie hast du es denn hinbekommen, so lange stillzuhalten?«
    »Vielleicht haben Sie mir das Blut in den Adern gefrieren lassen«, sagte Camille. Er musterte den

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