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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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Rechte, Georges-Jacques. Die Rechte sind eine Waffe.«
    Die ganze Woche dachte er an Paris. Der Preisträger ging ihm nicht aus dem Kopf. Vielleicht war er nur wandelnder Dreck – aber zumindest war er herumgekommen, und wer konnte sagen, wohin es ihn noch verschlagen würde. Atme von hier unten, sagte er sich immer wieder. Er probierte es aus. Ja, es stimmte wirklich. Er hatte das Gefühl, tagelang sprechen zu können.
    Wenn M. de Viefville des Essarts nach Paris fuhr, besuchte er immer seinen Neffen im Collège Louis-le-Grand, um zu schauen, wie er vorankam. Inzwischen hatte er Vorbehalte – große Vorbehalte –, was die Zukunft des Jungen betraf. Sein Sprachfehler bestand weiter, war eher stärker geworden. Wenn Monsieur sich mit dem Jungen unterhielt, umspielte ein angespanntes Lächeln seine Lippen. Es war peinlich, manchmal richtig deprimierend, wenn der Junge mitten im Satz stecken blieb. Man konnte einspringen, den Satz für ihn fortsetzen. Bloß wusste man bei Camille nie so genau, wo er eigentlich hinsteuerte. Seine Sätze begannen ganz normal, doch sie konnten wer weiß wohin führen.
    Und er schien auf eine noch tiefgreifendere Weise für das Leben, das sie für ihn vorgesehen hatten, ungeeignet zu sein. Er war so nervös, dass man beinahe seinen Herzschlag hören konnte. Feingliedrig, blass und schmal, mit dunklem Haarschopf und langen Wimpern, schaute er seinen Verwandten an und zappelte dabei herum, als hätte er nur eines im Sinn, nämlich möglichst schnell aus dem Zimmer zu kommen. Der arme Kleine, dachte sein Verwandter jedes Mal.
    Doch kaum stand er auf der Straße, verpuffte sein Mitleid, und er hatte das Gefühl, verbal zerfetzt worden zu sein. Es war ungerecht. Als würde man von einem Krüppel in die Gosse gestoßen. Man hätte sich gern beschwert, doch angesichts der Umstände gestand man es sich nicht zu.
    Der eigentliche Grund für Monsieurs Besuch in der Hauptstadt war, am Parlament von Paris teilzunehmen. Die Parlamente des Königreichs waren keine gewählten Körperschaften. Die de Viefvilles hatten ihre Mitgliedschaft gekauft und würden sie an ihre Erben weitergeben – vielleicht an Camille, wenn er sich besser benahm. Die Parlamente verhandelten Gerichtsfälle, und sie sanktionierten die Edikte des Königs. Soll heißen, sie prüften sie und registrierten sie als Gesetze.
    Gelegentlich machte sich bei den Parlamenten Unbehagen breit. Dann verfassten sie Protestnoten über den Zustand der Nation – allerdings nur, wenn sie ihre eigenen Interessen gefährdet sahen oder meinten, sich Vorteile verschaffen zu können. M. de Viefville gehörte zu jenem Teil der Mittelklasse, der den Adel nicht beseitigen, sondern sich vielmehr mit ihm zusammentun wollte. Ämter, Positionen, Monopole – sie alle haben ihren Preis, und viele sind mit einem Titel verbunden.
    Die Parlamente gerieten sehr in Sorge, als die Krone sich Geltung zu verschaffen begann, Verordnungen in bis dahin nicht beachteten Bereichen erließ, kluge neue Ideen entwickelte, wie das Land regiert werden sollte. Gelegentlich gerieten die Parlamente mit dem Monarchen aneinander, und da Widerstand gegen die Autorität in jeglicher Form neu und riskant war, vollbrachten die Parlamentsmitglieder das Kunststück, zugleich Erzkonservative und Volkshelden zu sein.
    Im Januar 1776 schlug Minister Turgot die Abschaffung der Corvée vor, einer von den Bauern zu leistenden Wegefron, mittels deren Straßen und Brücken instand gehalten wurden. Turgot war der Ansicht, dass die Straßen besser wären, wenn sie von Privatunternehmern gebaut und unterhalten würden anstatt von Bauern, die man von ihren Feldern geholt hatte. Aber das würde natürlich Geld kosten. Wie wäre es also mit einer Eigentumssteuer? Von jedem Mann mit Vermögen zu zahlen, nicht nur vom Dritten Stand, sondern auch vom Adel?
    Das Parlament lehnte diesen Plan rundweg ab. Nach einer weiteren bitteren Auseinandersetzung zwang der König das Parlament, die Abschaffung der Corvée zu registrieren. Turgot machte sich überall Feinde. Die Königin und ihr Kreis verstärkten ihre Kampagne gegen ihn. Der König fand keinen Gefallen daran, sich zu behaupten, und er hielt dem Druck von außen nicht stand. Im Mai entließ er Turgot, und die Zwangsarbeit wurde wieder eingeführt.
    So war also ein Minister zu Fall gebracht worden – der Trick würde sich wiederholen lassen. Der Comte d’Artois schickte dem scheidenden Ökonom die Worte hinterher: »Jetzt haben wir wenigstens

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