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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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wieder etwas Geld, das wir ausgeben können.«
    Wenn der König nicht auf der Jagd war, schloss er sich gern in seiner Werkstatt ein und beschäftigte sich mit Metallarbeiten oder bastelte an Schlössern herum. Durch seine Weigerung, Entscheidungen zu treffen, hoffte er, Fehler zu vermeiden; er dachte, wenn er sich nicht einmischte, werde alles weiterlaufen wie immer.
    Nach Turgots Entlassung reichte Malesherbes seinen Rücktritt ein. »Sie haben es gut«, sagte Louis trübe. »Ich wünschte, ich könnte auch zurücktreten.«
    1776: Beschwerdeschrift des Parlaments von Paris:
Der oberste Grundsatz der Gerechtigkeit besteht darin, dem Einzelnen zu erhalten, was sein ist. Es handelt sich hierbei um ein Grundprinzip des Naturrechts, der Menschenrechte und des Staatssystems; ein Prinzip, demzufolge nicht nur die Eigentumsrechte, sondern auch jene Rechte aufrechtzuerhalten sind, die dem Einzelnen verliehen werden und die sich aus Privilegien der Geburt und der gesellschaftlichen Stellung herleiten.
    Wenn M. de Viefville aus Paris zurückkehrte, ging er jedes Mal durch das Gewirr enger Kleinstadtstraßen und das Gewirr enger Provinzherzen, und jedes Mal rang er sich schließlich durch, Jean-Nicolas in seinem hohen, weißen, mit Büchern angefüllten Haus an der Place des Armes zu besuchen. Maître Desmoulins kannte in letzter Zeit nur noch ein einziges Thema, und de Viefville fürchtete sich davor, ihm zu begegnen, seinen verwirrten Blick zu sehen und die immergleiche Frage zu hören, die niemand beantworten konnte: Was war mit dem braven, hübschen Kind geschehen, das er vor neun Jahren nach Cateau-Cambrésis geschickt hatte?
    An Camilles sechzehntem Geburtstag stampfte sein Vater durchs Haus. »Manchmal denke ich«, sagte er, »dass ich ein verkommenes kleines Scheusal ohne Gefühl und Verstand am Hals habe.« Er hatte den Priestern in Paris geschrieben und sie gefragt, was sie seinen Sohn eigentlich lehrten, gefragt, warum er so ungepflegt aussehe und warum er bei seinem letzten Besuch zu Hause die Tochter eines Ratsherrn verführt habe, »eines Mannes«, wie er schrieb, »dem ich jeden Tag bei der Arbeit begegne.«
    Jean-Nicolas erwartete nicht ernsthaft, Antwort auf diese Fragen zu bekommen. Und in Wirklichkeit störten ihn ganz andere Dinge an seinem Sohn. Warum, hätte er beispielsweise gern gewusst, war sein Sohn so emotional? Woher hatte er diese Fähigkeit, die Emotionen anderer aufzurühren, Menschen so zu erregen, zu verunsichern, aus der Ruhe zu bringen? In Camilles Gegenwart nahmen normale Unterhaltungen seltsame Wendungen oder arteten in heftigen Streit aus. Verlässliche gesellschaftliche Konventionen waren plötzlich mit Risiko behaftet. Man konnte ihn, dachte Desmoulins, mit niemandem allein lassen.
    Niemand bezeichnete seinen Sohn mehr als einen kleinen Godard. Doch auch die de Viefvilles reklamierten ihn nicht für sich. Seine Brüder gediehen, seine Schwestern erblühten, doch wenn Camille durch die Eingangstür des Alten Hauses hereinschlüpfte, sah er aus, als wäre er aus dem Findelhaus hergeschickt worden.
    Vielleicht würde er als Erwachsener einmal einer jener Söhne sein, die man dafür bezahlte, dass sie nicht nach Hause kamen.
    Es gibt Adlige in Frankreich, die erkannt haben, dass ihre besten Freunde die Anwälte sind. Nun da die Einnahmen aus Grundbesitz immer geringer werden und die Preise immer höher, werden die Armen ärmer, doch die Reichen ebenso. Es ist erforderlich geworden, gewisse Rechte geltend zu machen, deren Wahrnehmung man über Jahre hinweg hat schleifen lassen. Oft sind Abgaben, auf die man ein Anrecht hat, eine Generation lang nicht gezahlt worden; diese laxe, mildtätige Herrschaftsausübung muss ein Ende haben. Oder die eigenen Vorfahren haben zugelassen, dass ein Teil ihres Grundbesitzes zu Allmende wurde – wofür es meistens keine rechtliche Grundlage gibt.
    Es waren goldene Zeiten für Jean-Nicolas; mochte er privat auch Sorgen haben, die Geschäfte liefen prächtig. Maître Desmoulins war kein Stiefellecker – er hatte ein ausgeprägtes Bewusstsein für seine eigene Würde und war zudem ein liberal gesinnter Mann, ein Befürworter von Reformen in fast allen Bereichen des nationalen Lebens. Nach dem Abendessen las er Diderot, und er ließ sich den Genfer Nachdruck der Encyclopédie in Teillieferungen schicken. Nichtsdestoweniger widmete er nun einen Großteil seiner Zeit Rechteregistern und der Ermittlung von Rechtsansprüchen. Man brachte ihm mehrere alte

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