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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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waren.
    Manon Roland schritt dieser Tage marmorne Prachttreppen hinab und sah ihre mollige, hübsche Figur in Wänden aus venezianischem Glas gespiegelt. Aber das Kleid, das sie an besagtem Montagabend trug, war drei Jahre alt, und um ihre Schultern lag ein großes Fichu. Keine Zugeständnisse.
    Sie hatte bekannt gegeben, dass sie die Gewohnheiten einer Privatperson beizubehalten gedachte. Aristokratischer Prunk war ihr fremd. Vetternwirtschaft würde es bei ihr nicht geben, und für ihre Besucher (nur mit Einladung) galten strenge Regeln. Die großen Salons blieben unerleuchtet, die Möbel verhüllt, denn sie hatte nicht vor, dort Hof zu halten; sie hatte sich ein hübsches, bescheidenes kleines Arbeitszimmer eingerichtet, ganz nah bei den Amtsräumen des Ministers. Dort saß sie den Tag über an ihrem Schreibtisch und machte sich nützlich, und wenn jemand den Minister privat zu sprechen wünschte, unbehelligt von den üblichen Scharen von Beamten und Bittstellern, brauchte sie ihm nur Nachricht zu senden, und schon trat der Minister in ihre winzige Studierstube und besprach sich dort mit seinem Besucher, während sie unaufdringlich dabeisaß, die Ohren gespitzt, die Hände im Schoß gefaltet.
    Sie hatte ihre Regeln aufgestellt, die Regeln, nach denen das Ministeramt ausgeübt zu werden hatte. Zweimal die Woche wurde zu Tisch gebeten. Das Essen war einfach, und es wurde kein Alkohol dazu gereicht. Die Gäste mussten um neun Uhr gehen – wir machen freiwillig den Anfang, flüsterte Fabre. Frauen wurden grundsätzlich nicht empfangen; ihr Geschwätz und ihr kleinliches Schönheitsgezänk hätten dem hohen Ton und den hehren Zielen von Mme Rolands Zusammenkünften Abbruch getan.
    Der gestrige Montag war nicht einfach gewesen. Robespierre hatte ihre Einladung ausgeschlagen; Pierre Vergniaud hatte zugesagt. Sie persönlich mochte den Mann ja nicht – und dieser Tage zählten ihre persönlichen Vorlieben einiges. Nicht dass sie politisch mit ihm uneins gewesen wäre, aber er war träge, sparte sich seine Redekünste für große Themen und große Anlässe auf. An diesem Abend war sein Blick glasig vor Langeweile. Dumouriez war da munterer – aber seine Munterkeit ging in die falsche Richtung. Er gab mindestens eine anstößige Anekdote zum Besten und bat dann bei ihr um Pardon. Sie gewährte es mit kaum merklichem Nicken, und der General wusste, dass er bei seiner Arbeit morgen mit mysteriösen Schwierigkeiten zu kämpfen haben würde. Sie hatte die Klaviatur der Macht schnell und mühelos zu beherrschen gelernt.
    Fabre d’Églantine versuchte mehrmals, das Gespräch aufs Theater zu bringen, aber sie lenkte es mit fester Hand zum angesetzten Thema zurück – den Manövern, militärischer wie politischer Natur, des vormaligen Marquis de Lafayette. Sie hatte gesehen, wie Fabre kurz zu Danton hinsah und dann länger zu den nackten Göttinnen, die an der Zimmerdecke tänzelten. Gottlob saß Jean-Baptiste Louvet neben ihr. Anfangs hatte sie ihm nicht über den Weg getraut, dieses Romans wegen, den er geschrieben hatte. Aber sie begriff, in welcher Lage die Patrioten unter dem alten Regime gewesen waren, und einem so vielversprechenden Journalisten musste man sowieso einiges nachsehen. Sein schon leicht schütteres blondes Haar fiel ihm in die Stirn, während er ihr lauschend den Kopf zuneigte. Ein Bundesgenosse. Ein Freund von Madame Roland.
    Sie sprach mit Louvet, aber ihren Blick zog es gegen ihren Willen immer wieder zu Danton. Dumouriez hatte darauf bestanden, dass sie ihn einlud: »Er ist jemand, den wir uns zum Freund machen sollten. Er hat eine große Gefolgschaft auf den Straßen.«
    »Beim Pöbel«, hatte sie verächtlich gesagt.
    »Sind Sie der Meinung, dass wir mit dem Pöbel nichts zu schaffen haben dürfen?«
    Und so saß er nun hier. Es schauderte sie bei seinem Anblick. Diese Leutseligkeit, diese aufgesetzte Offenheit und Bonhomie: Sie verdeckten nur – aufs notdürftigste – den himmelschreienden Ehrgeiz des Mannes. Oh, er war ja so nett und so simpel, ein schlichter Bauersmann aus der Provinz – nein, wirklich? Wie selbstsicher seine Hände auf dem Tischtuch lagen, die dicken Finger ausgespreizt. Er konnte töten mit diesen Händen, er konnte einer Frau den Hals umdrehen, einem Mann die Kehle zudrücken.
    Und diese Narbe, die kalkblasse Narbe, die längs über seinen Mund zackte – wie kam man zu so einer Narbe? Es verbog ihm die Lippen, sodass sein Lächeln kein Lächeln war, mehr ein hämisches

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