Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
Prinzen von Kopf bis Fuß wie ein Henker, der Maß nimmt. »Natürlich wird es eine Revolution geben«, sagte er. »Sie schaffen gerade eine ganze Nation von Cromwells. Aber ich hoffe doch, dass wir weiter kommen werden als er. In fünfzehn Jahren werden Tyrannen und Parasiten wie Sie verschwunden sein. Und wir werden eine Republik nach römischem Vorbild errichtet haben.«
»Er geht in Paris zur Schule«, sagte Jean-Nicolas kläglich. »Hat lauter solche Ideen im Kopf.«
»Und glaubt vermutlich, er sei zu jung, um dafür büßen zu müssen«, sagte Condé. Er wandte sich wieder dem Jungen zu. »Was in aller Welt soll das werden?«
»Der Höhepunkt Ihres Besuchs, Monseigneur. Sie wollten einen kleinen Ausflug machen, um zu sehen, wie Ihre gebildeten Leibeigenen leben, und um zu Ihrer Unterhaltung einige Platitüden mit ihnen auszutauschen«, sagte Camille. Er begann – unübersehbar, besorgniserregend – zu zittern. »Ich verabscheue Sie.«
»Ich kann nicht hier bleiben und mich beschimpfen lassen«, murmelte Condé. »Desmoulins, halten Sie diesen Ihren Sohn in Zukunft von mir fern.« Er hielt nach einem Platz Ausschau, wo er sein Glas abstellen konnte, und drückte es schließlich seinem Gastgeber in die Hand. Maître Desmoulins folgte ihm zur Treppe.
»Monseigneur –«
»Es war ein Fehler, mich herabzulassen. Ich hätte meinen Verwalter schicken sollen.«
»Es tut mir sehr leid.«
»Nicht der Rede wert. Es ist mir gar nicht möglich, beleidigt zu sein. Das liegt nicht in meiner Natur.«
»Darf ich meine Arbeit für Sie fortführen?«
»Sie dürfen.«
»Und Sie sind wirklich nicht beleidigt?«
»Es wäre unter meiner Würde, wegen etwas beleidigt zu sein, was von keinerlei Belang ist.«
Sein kleines Gefolge hatte sich rasch an der Haustür versammelt. Er blickte zu Jean-Nicolas zurück. »Wenn ich sage, halten Sie ihn von mir fern, dann meine ich wirklich fern.«
Als der Prinz abgefahren war, ging Jean-Nicolas wieder hinauf in sein Arbeitszimmer. »Nun, Camille?«, sagte er. Eine seltsame Ruhe erfüllte seine Stimme, und er atmete tief durch. Das letzte Tageslicht war verblasst; über dem Platz hing wie ein fahles Fragezeichen ein Sichelmond. Camille hatte sich wieder ins Halbdunkel zurückgezogen, als fühlte er sich dort sicherer.
»Was für eine dumme, alberne Unterhaltung habt ihr da geführt«, sagte Camille schließlich. »Das ist doch alles sattsam bekannt. Er ist schließlich nicht debil. Die sind nicht debil, jedenfalls nicht alle.«
»Ach so? Ich bin ja völlig von der Gesellschaft abgeschnitten, weißt du.«
»Wie er das gesagt hat, ›diesen Ihren Sohn‹, das hat mir gefallen. Als wäre es irgendwie exzentrisch, mich zum Sohn zu haben.«
»Vielleicht ist es das ja auch«, sagte Jean-Nicolas. »Wäre ich ein Bürger der Antike, hätte ich einen Blick auf dich geworfen und dich dann auf irgendeinem Hügel ausgesetzt und deinem Geschick überlassen.«
»Vielleicht wäre ja eine Wölfin vorbeigekommen und hätte Gefallen an mir gefunden.«
»Camille – als du mit dem Prinzen geredet hast, war dein Stottern plötzlich weg.«
»Mhm. Keine Sorge. Es ist wieder da.«
»Ich dachte, er schlägt dich gleich.«
»Ja, ich auch.«
»Ich wünschte, er hätte es getan«, sagte Jean-Nicolas. »Wenn du so weitermachst, bleibt eines Tages mein Herz« – er schnipste mit den Fingern – »einfach so stehen.«
»Ach, nein.« Camille lächelte. »Du bist in Wirklichkeit sehr robust. Dein einziges Problem sind deine Nierensteine, hat der Arzt gesagt.«
Jean-Nicolas verspürte plötzlich den Drang, sein Kind in die Arme zu schließen. Es war ein unvernünftiger Impuls, den er rasch unterdrückte.
»Du hast Anstoß erregt«, sagte er, »und unsere Zukunft gefährdet. Das Schlimmste war die Art und Weise, wie du ihn von Kopf bis Fuß gemustert hast. Wortlos.«
»Ja«, sagte Camille distanziert. »In stummer Unverschämtheit bin ich gut. Ich übe mich darin, aus offensichtlichen Gründen.« Er setzte sich auf den Stuhl seines Vaters, sammelte sich für die Fortführung des Gesprächs, strich sich das Haar aus den Augen.
Jean-Nicolas kannte sich selbst als einen Mann von eisiger Würde, von unnahbarer Steifheit und Korrektheit. Doch jetzt hätte er am liebsten geschrien, die Fensterscheiben eingeschlagen, wäre hinausgesprungen und unten auf der Straße einen schnellen Tod gestorben.
Der Prinz wird die Episode in seiner Eile, nach Versailles zurückzukehren, bald vergessen.
Dort ist Pharo
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