Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
einfach etwas gelten.«
»In Gottes Augen gilt jeder Mensch etwas.«
»Du bist durch dieses Leben ja richtig fromm geworden.«
Sie lachten. Dann: »Hast du bei all deinen Plänen auch an die Rettung deiner Seele gedacht?«
»Warum sollte ich mir um meine Seele Gedanken machen, wo ich doch eine faule große Schwester habe, die Nonne ist und den ganzen Tag nichts anderes zu tun hat, als für mich zu beten?« Er blickte auf. »Und du? Bist du – na ja – glücklich?«
Sie seufzte. »Sieh es von der ökonomischen Seite, Georges-Jacques. Heiraten kostet Geld. Wir sind zu viele Mädchen in der Familie. In gewisser Weise haben mich die anderen zur Freiwilligen auserkoren. Aber jetzt, wo ich hier bin – ja, ich habe mich in diesem Leben eingerichtet. Es hat seine Tröstungen, die du allerdings wohl nicht würdigen könntest. Ich glaube nicht, dass du für ruhige Gewässer geschaffen bist, Georges-Jacques.«
Er wusste, dass es Bauern im Arrondissement gab, die sie auch mit der mageren Mitgift, die nun ans Kloster gegangen war, genommen hätten und die froh über eine Frau mit robuster Gesundheit und sonnigem Gemüt gewesen wären. Es wäre keineswegs unmöglich gewesen, einen Mann zu finden, der hart arbeitete, sie anständig behandelte und ihr ein paar Kinder schenkte. Georges-Jacques fand, dass alle Frauen Kinder haben sollten.
»Könntest du hier denn noch weg?«, fragte er. »Wenn ich mal Geld verdiene, kann ich mich um dich kümmern, wir könnten einen Mann für dich suchen oder auch nicht, ich würde für dich sorgen.«
Sie hob die Hand. »Ich habe dir doch gesagt – ich bin zufrieden. Es ist gut.«
»Es macht mich traurig«, sagte er sanft, »zu sehen, dass du so blass geworden bist.«
Sie schaute weg. »Geh lieber, bevor ich traurig werde. Weißt du, ich denke oft an die Zeit zurück, als wir so viel draußen auf den Feldern waren. Nun ja, das ist vorbei. Gott schütze dich.«
»Dich auch.«
Und du verlass dich ruhig darauf, dachte er; ich tue es nicht.
3. Bei Maître Vinot
1780
Der britische Botschafter Sir Francis Burdett über Paris: »Es ist die schlechtestgeplante, schlechtestgebaute Stadt, die man sich nur irgend vorstellen kann, schmutzig und stinkend; und was die Einwohner betrifft, so sind sie zehnmal garstiger als die Einwohner von Edinburgh.«
Georges-Jacques stieg an der Cour des Messageries aus der Kutsche. Die Reise war unerwartet kurzweilig gewesen. Ein Mädchen war mitgefahren, Françoise-Julie – Françoise-Julie Duhauttoir aus Troyes. Sie waren sich noch nie begegnet – daran hätte er sich erinnert –, aber sie war ihm nicht ganz fremd; sie war die Sorte Mädchen, angesichts derer seine Schwestern missbilligend die Lippen kräuselten. Kein Wunder: Sie sah gut aus, war lebhaft, hatte Geld, aber keine Eltern mehr und verbrachte die Hälfte des Jahres in Paris. Während der Fahrt belustigte sie ihn mit Imitationen ihrer Tanten: »Jugend-währt-nicht-ewig, Ein-guter-Ruf-ist-ein-Vermögen-wert,Findest-du-nicht-es-wäre-an-der-Zeit-dich-in-Troyes-niederzulassen-wo-deine-ganze-Verwandtschaft-lebt-und-dir-einen-Mann-zu-suchen-bevor-es-zu-spät-ist?«Als stünde zu befürchten, so Françoise-Julie, dass eines Tages urplötzlich Männermangel herrsche.
Er konnte sich nicht vorstellen, dass das bei einem Mädchen wie ihr je der Fall sein würde. Sie schäkerte mit ihm herum, als wäre er wie alle anderen, schien sich nicht an seiner großen Narbe zu stören. Sie glich einem Menschen, der monatelang geknebelt gewesen oder gerade aus dem Gefängnis entlassen worden war. Ihre Worte überstürzten sich, als sie versuchte, ihm die Stadt zu erklären, ihm von ihrem Leben, ihren Freunden zu erzählen. Als die Kutsche anhielt, wartete sie nicht darauf, dass er ihr heraushalf, sondern sprang einfach hinunter.
Sofort schlug ihm der Lärm entgegen. Zwei der Männer, die gekommen waren, um sich der Pferde anzunehmen, fingen an, sich zu streiten. Das war das Erste, was er hörte: ein Schwall von Unflätigkeiten in der harten Aussprache der Hauptstadt.
Françoise-Julie stand inmitten ihrer Gepäckstücke und hielt sich an seinem Arm fest. Sie lachte vor lauter Freude, wieder zurück zu sein. »Was mir hier so gut gefällt«, sagte sie, »ist die ständige Veränderung. Dauernd wird irgendetwas abgerissen und etwas anderes neu gebaut.«
Sie hatte ihre Adresse auf einen Zettel geschrieben, den sie ihm in die Tasche steckte. »Kann ich Ihnen nicht irgendwie helfen?«, fragte er. »Sie zu Ihrer
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