Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
gerade die neue Leidenschaft. Der König hat das Glücksspiel verboten, weil die Verluste so hoch sind. Doch der König ist ein Mann mit festen Gewohnheiten, der früh zu Bett geht, und wenn er sich zurückzieht, werden die Einsätze auf den Tisch der Königin gezählt.
»Der Arme«, nennt sie ihn.
Die Königin gibt in der Mode den Ton an. Ihre Kleider – ungefähr hundertfünfzig pro Jahr – werden von Rose Bertin gefertigt, einer teuren, aber unverzichtbaren Modistin, die ihr Atelier in der Rue Saint-Honoré hat. Die höfische Damenkleidung mit ihren Korsettstangen, Schleppen und riesigen Reifröcken, dem steifen Brokat und den panzerartigen Besätzen ist eine Art tragbares Gefängnis. Frisuren und Hüte verbinden sich auf kuriose Weise und sind Gegenstand der caprice du moment ; George Washingtons Truppen, in Schlachtordnung aufgestellt, schwanken unter pomadisierten Türmen, und in verfilzten Locken werden englische Parklandschaften nachempfunden. Die Königin würde sich eigentlich gern von alldem lossagen und ein Zeitalter der Freiheit ausrufen: feinste Gaze, weichstes Musselin, schlichte Bänder, lose Hemdchen. Es ist erstaunlich, festzustellen, dass Schlichtheit von erlesenem Geschmack ebenso viel kostet wie Samt und Seide. Die Königin liebt Natürlichkeit , so sagt sie – bei der Kleidung, bei der Etikette. Was sie noch mehr liebt, sind Diamanten; ihre Beziehungen zu dem Pariser Juweliergeschäft Böhmer und Bassenge erregen weithin Anstoß und schädigen ihren Ruf. In ihren Gemächern wirft sie Möbel hinaus, reißt Wandbehänge herunter, bestellt Neues – und zieht dann woandershin.
»Mir graut es davor, mich zu langweilen«, sagt sie.
Sie hat kein Kind. In Pamphleten, die in der ganzen Stadt kursieren, wird sie wechselnder Verhältnisse mit ihren Höflingen und lesbischer Handlungen mit ihren weiblichen Günstlingen bezichtigt. Als sie im Jahr 1776 in ihrer Loge in der Opéra erscheint, wird sie mit eisigem Schweigen empfangen. Sie versteht das nicht. Hinter verschlossener Tür in ihrem Schlafgemach, so wird später erzählt, ruft sie aus: »Was habe ich ihnen denn getan? Was habe ich getan?« Es ist einfach ungerecht, findet sie, auf einer einzelnen Frau und ihren belanglosen Vergnügungen herumzuhacken, wenn so viel Grundsätzliches im Argen liegt.
Ihr Bruder, Kaiser Joseph II ., schreibt ihr warnend aus Wien: »So kann es auf die Länge nicht weitergehen … und die Revolution wird grausam sein, wenn Ihr derselben nicht vorbaut.«
1778 kehrt Voltaire im Alter von vierundachtzig Jahren nach Paris zurück, er spuckt Blut und ist vom nahen Tod gezeichnet. In einer blauen Kutsche mit goldenen Sternen durchquert er die Stadt. Die Straßen sind von einer hysterischen Menschenmenge gesäumt, die »vive Voltaire« ruft. Der alte Mann bemerkt: »Genauso viele Menschen sähen mich gern hingerichtet.« Die Académie erscheint zu seiner Begrüßung; Diderot kommt, Franklin kommt. Während der Aufführung seiner Tragödie Irène bekränzen die Schauspieler seine Statue mit Lorbeer, und auf der vollbesetzten Galerie springen die Leute auf und jubeln vor Freude und Bewunderung.
Im Mai stirbt er. Die Stadt Paris verweigert ihm ein christliches Begräbnis, und da man befürchtet, seine Feinde könnten seine sterblichen Überreste schänden, wird sein Leichnam nachts bei Vollmond aus der Stadt geschafft – aufrecht in der Kutsche sitzend, als wäre er noch am Leben.
Ein gewisser Necker, Protestant und steinreicher Bankier aus der Schweiz, wurde zum Generalfinanzdirektor und zum Wundertäter der königlichen Regierung ernannt. Nur Necker würde das Staatsschiff vor dem Stranden bewahren können. Das Geheimnis, sagte er, bestehe darin, Kredite aufzunehmen. Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen würden Europa signalisieren, dass einem das Wasser bis zum Hals stehe. Doch wenn man Kredite aufnehme, zeige man, dass man nach vorn schaue, tatkräftig und energisch sei; indem man Zuversicht an den Tag legte, erzeuge man Zuversicht. M.Necker war ein Optimist.
Und die Rechnung schien aufzugehen. Als der Minister im Mai 1781 durch die übliche reaktionäre, anti-protestantische Kabale zu Fall gebracht wurde, sehnte sich das Volk nach einer verlorenen Zeit zurück, einer Zeit des Wohlstands. Der König allerdings war erleichtert und kaufte Antoinette aus gegebenem Anlass ein paar neue Diamanten.
Georges-Jacques Danton hatte mittlerweile beschlossen, nach Paris zu gehen.
Es war sehr schwierig gewesen, sich
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