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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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Wohnung bringen?«
    »Kümmern Sie sich lieber um sich selbst«, sagte sie. »Ich komme schon zurecht, schließlich lebe ich hier.« Sie drehte sich auf dem Absatz um, erteilte einige Anweisungen bezüglich ihres Gepäcks, verteilte ein paar Münzen. »So. Sie wissen, wo Sie hinmüssen, oder? Ich erwarte Sie im Laufe dieser Woche. Wenn Sie nicht kommen, werde ich mich auf die Suche nach Ihnen machen.« Sie griff nach der kleinsten ihrer Taschen, und dann reckte sie sich plötzlich zu ihm hoch und gab ihm einen Kuss aufs Kinn. Woraufhin sie davonwirbelte und in der Menge verschwand.
    Er hatte nur eine Reisetasche dabei, schwer von Büchern. Er hievte sie hoch, setzte sie jedoch gleich wieder ab und fischte in seiner Rocktasche nach dem Zettel, auf dem in der Schrift seines Stiefvaters stand:
    Le cheval noir
    Rue Geoffroy l’Asnier
    Pfarrbezirk Saint-Gervais
    Ringsum hatten die Kirchenglocken zu läuten begonnen. Er fluchte leise. Wie viele Glocken gab es in dieser Stadt, und wie in aller Welt sollte er aus diesem Geläute die Glocken von Saint-Gervais und dem zugehörigen Pfarrbezirk heraushören? Er zerknüllte den Zettel und ließ ihn fallen.
    Die Hälfte der Passanten wussten nicht, wo sie waren. Man konnte endlos durch die Gassen und Hinterhöfe wandern; es gab Straßen ohne Namen, Baustellen voller Schutt, Kochstellen draußen auf der Straße. Alte Männer husteten und spuckten, Frauen lupften ihre Röcke, an denen gelber Schlamm klebte, Kinder rannten nackt durch den Schlamm wie auf dem Land. Es war wie in Troyes und doch ganz anders. Georges-Jacques hatte ein Empfehlungsschreiben an einen Anwalt auf der Île Saint-Louis dabei, einen gewissen Vinot. Er würde sich irgendwo eine Unterkunft für die Nacht suchen. Und morgen würde er sich vorstellen.
    Ein Straßenhändler, der Medizin gegen Zahnschmerzen verkaufte, war von einer zeternden Menge umringt. »Lügner!«, schrie eine Frau. »Es gibt nur eins, was da hilft: die Zähne ziehen!« Er sah noch ihren wilden, irren, städtischen Blick, ehe er weiterging.
    Maître Vinot war ein rundlicher, streitlustiger Mann mit plumpen Händen. Er gab sich poltrig wie ein ältlicher Schuljunge.
    »Tja«, sagte er, »wir können es mit Ihnen versuchen, mehr nicht. Wir … können … es … nur … mit … Ihnen … versuchen.«
    Ich kann es mit Ihnen versuchen, dachte Georges-Jacques.
    »Eins steht jedenfalls fest: Sie haben eine fürchterliche Klaue. Was lehrt man euch denn heutzutage? Ich hoffe, Ihr Latein entspricht den Anforderungen.«
    »Maître Vinot«, sagte Danton, »ich habe zwei Jahre als Kanzlist gearbeitet; glauben Sie etwa, ich bin hier, um Briefe zu kopieren?«
    Maître Vinot starrte ihn an.
    »Mein Latein ist ausgezeichnet«, sagte Danton. »Mein Griechisch ebenfalls. Ich spreche fließend Englisch und ganz passabel Italienisch. Falls es Sie interessiert.«
    »Wo haben Sie das denn gelernt?«
    »Ich habe es mir selbst beigebracht.«
    »Rührig, rührig. Aber wissen Sie, wenn wir Probleme mit Ausländern haben, besorgen wir uns einen Dolmetscher.« Er musterte Danton. »Sie würden gern reisen?«
    »Ja, wenn sich die Möglichkeit böte, würde ich gern mal nach England fahren.«
    »Sie bewundern die Engländer? Ihre Institutionen?«
    »Ein Parlament könnten wir auch gebrauchen, finden Sie nicht? Ein wirklich repräsentatives, meine ich, nicht eines, das von Korruption zerfressen ist wie das englische. Ach ja, und die Trennung von Exekutive und Legislative. In dieser Hinsicht enttäuschen die Engländer.«
    »Hören Sie zu«, sagte Maître Vinot. »Ich werde Ihnen jetzt zu alldem etwas sagen, und ich hoffe, ich muss das nicht wiederholen. Was Ihre Meinungen betrifft, werde ich mich nicht einmischen – auch wenn Sie sie wahrscheinlich für einzigartig halten. Aber wissen Sie«, er hatte eine etwas feuchte Aussprache, »das sind Allerweltsmeinungen, die selbst mein Kutscher teilt. Ich laufe meinen Kanzlisten nicht nach, um mich ihrer Moral zu versichern und sie in die Kirche zu scheuchen. Aber diese Stadt ist kein sicherer Ort. Alle möglichen Bücher zirkulieren ohne den Stempel des Zensors, und was in einigen der Cafés geredet wird – durchaus auch in den schicken –, grenzt an Landesverrat. Ich erwarte nicht das Unmögliche, ich erwarte nicht, dass Sie sich mit alldem gedanklich nicht beschäftigen – sehr wohl aber erwarte ich, dass Sie darauf achten, mit wem Sie sich umgeben. Ich dulde keine Aufwiegelei – nicht in meinen Geschäftsräumen. Und

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