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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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Desmoulins’ Sohn mit trockenem Mund dem schwerfälligen Charme seines neuen Arbeitgebers ausgesetzt. Hutmacher, die fünfzehn Stunden am Tag bei schlechtem Licht arbeiten, reiben sich die rot geränderten Augen und beten für ihre Familie auf dem Land. Riegel werden vorgeschoben, Lampen entzündet. Schauspieler schminken sich für ihren Auftritt.

ZWEITER TEIL
    Große Fortschritte machen wir nur in einer Zeit,
    da wir melancholisch gestimmt sind,
    nur in der Stunde, da wir uns,
    mit der wirklichen Welt unzufrieden,
    eine erträglichere erschaffen müssen.
     
    Jean Marie Hérault de Séchelles, Theorie des Ehrgeizes

1. Theorie des Ehrgeizes
    1784–1787
    Das Café du Parnasse war bei seinen Gästen als Café de l’École bekannt, da es auf den gleichnamigen Kai hinausging. Durch seine Fenster sah man den Fluss und den Pont-Neuf und weiter in der Ferne die Türme des Gerichtshofs. Das Café gehörte M. Charpentier, einem Steuerprüfer; es war eine Liebhaberei und zugleich sein zweites Standbein. Wenn sich am Abend die Gerichte vertagt hatten und viel Betrieb im Café war, legte er sich eine Serviette über den Arm und bediente selbst, war weniger Betrieb, schenkte er sich ein Glas Wein ein, setzte sich zu seinen Stammgästen und ließ sich den neusten Juristentratsch erzählen. Das Geplauder im Café de l’École war eher trockener und legalistischer Natur; dennoch war das Ambiente nicht rein männlich geprägt. Es gab durchaus gelegentlich weibliche Gäste, denen über die Marmortische hinweg Komplimente zugesandt wurden, mit diskretem Witz verfeinert.
    Monsieurs Gattin Angélique war vor ihrer Heirat Angelica Soldini gewesen. Es wäre hübsch, sagen zu können, dass unter dem pariserisch kühlen Äußeren der Matrone die italienische Braut noch ein verborgenes Leben führte. Tatsächlich jedoch hatte sich Angélique ihre schnelle, überschäumende Sprache, ihre auf undefinierbare Weise ausländisch wirkenden dunklen Kleider, ihre periodischen Anwandlungen von Frömmigkeit respektive Fleischeslust bewahrt; unter dieser äußeren Schicht attraktiver Eigenschaften aber blühte und gedieh ihr wahres Ich: eine vernünftige, sparsame Frau, robust wie Granit. Sie war jeden Tag im Café – mollig, samtäugig, demonstrativ verheiratet; manchmal verfasste jemand ein Sonett für sie und überreichte es ihr mit einer höflichen Verbeugung. »Das lese ich später«, sagte sie dann, faltete das Blatt sorgfältig zusammen und ließ ihre Augen funkeln.
    Ihre Tochter, Antoinette Gabrielle, war siebzehn, als sie zum ersten Mal im Café erschien. Sie war größer als ihre Mutter, hatte eine wohlgeformte Stirn und braune Augen von großem Ernst. Ihr Lächeln kam als plötzliche Entscheidung, ein Aufblitzen weißer Zähne, ehe sie den Kopf oder den ganzen Körper abwandte, als gälte ihre Heiterkeit geheimen Empfängern. Ihr braunes, vom ausgiebigen Bürsten glänzendes Haar fiel ihr wie ein Pelzcape über den Rücken, exotisch und scheinbar lebendig: eine private Wärmequelle an kalten Tagen.
    Gabrielle war nicht ordentlich wie ihre Mutter. Wenn sie sich das Haar aufsteckte, lösten sich durch sein Gewicht die Haarnadeln bald wieder. In Räumen bewegte sie sich genauso wie auf der Straße. Sie nahm tiefe Atemzüge, errötete leicht, sprang von einem Thema zum anderen, und ihre Bildung war lückenhaft, katholisch, romantisch. Sie hatte die rohe Kraft einer Wäscherin und eine Haut – so sagten alle – wie Seide.
    Mme Charpentier hatte Gabrielle ins Café geholt, damit die Männer, die eventuell um ihre Hand anhalten würden, sie erleben konnten. Von ihren beiden Söhnen studierte der eine, Antoine, die Rechte, der andere, Victor, war verheiratet und als Notar gut situiert; nur das Mädchen musste unter die Haube gebracht werden. Es lag auf der Hand, dass Gabrielle einen der Anwälte, die das Café frequentierten, heiraten würde. Sie fügte sich anstandslos in ihr Schicksal, verspürte nur geringfügiges Bedauern angesichts der Jahre von Besitzstörungsklagen, Testamentsbestätigungen und Hypotheken, die vor ihr lagen. Ihr Mann würde wahrscheinlich einige Jahre älter sein als sie. Sie hoffte, dass er attraktiv sein würde, beruflich etabliert, großzügig und aufmerksam, mit einem Wort: distinguiert. Weshalb sie, als eines Tages Maître d’Anton, ein weiterer unbedeutender Anwalt aus der Provinz, in der Tür stand, nicht ihren künftigen Mann in ihm erkannte – nicht im Traum.
    Georges-Jacques war noch nicht lange in

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