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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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Schrift geführt hatte. Er las es Seite für Seite und fand seine gesamte Vergangenheit darin durchleuchtet. Keiner außer ihm durfte das zu sehen bekommen. Zur Sicherheit verbrannte er es, warf es Blatt um Blatt in die Flammen und sah den Seiten zu, wie sie sich krümmten und schwarz anliefen. Louise saß in der Ecke, ihre Augen verschwollen, ihre Züge vergröbert und aufgedunsen. Er schickte sie nicht fort; er nahm sie kaum wahr. Am 3. März brach er wieder nach Belgien auf.
    Der März begann desaströs. In Holland unterlag das erschöpfte Heer kläglich. In der Vendée wurde aus Aufstand Bürgerkrieg. In Paris plünderte der Mob Geschäfte und schlug girondistische Druckerpressen entzwei. Hébert forderte die Köpfe sämtlicher Minister, sämtlicher Generäle.
    Am 8. März bestieg Danton die Rednertribüne des Konvents. Die Patrioten erschraken über sein plötzliches Auftauchen fast noch mehr als über sein kummerblasses Gesicht, das von schlaflosen Nächten und den Strapazen der Reise gleichermaßen gezeichnet war. Mit schwankender Stimme berichtete er von Verrat und Demütigung; einmal brach er jäh ab und sah seine Zuhörer an, strich sich befangen über die Narbe an seiner Wange. Bei den Soldaten habe er Arglist, Unfähigkeit, Schlamperei erlebt. Massive und sofortige Truppenaufstockung sei die einzige Hoffnung. Die Reichen Frankreichs müssten für die Befreiung Europas bezahlen. Eine neue Steuer müsse noch heute beschlossen und morgen erhoben werden. Um den Verschwörern gegen die Republik beizukommen, müsse ein neues Gericht eingeführt werden, ein Revolutionstribunal, vor dem es keine Berufung geben dürfe.
    Jemand im Saal rief: »Wer hat die Gefangenen umgebracht?« Im Konvent brach die Hölle los: »Septembriseur!« wurde skandiert, dass die Wände wackelten. Die Montagnards sprangen wie ein Mann auf die Füße. Der Präsident brüllte um Ruhe, seine Glocke bimmelte wie verrückt. Danton stand mit dem Gesicht zur Zuschauergalerie, die Hände zu Fäusten geballt. Sobald der Lärm abzuflauen begann, erhob er die Stimme wieder: »Hätte es im September ein solches Tribunal schon gegeben, dann hätten die Männer, denen diese Ereignisse so oft und so grausam ungerecht vorgeworfen werden, ihren Ruf nicht mit einem einzigen Blutstropfen beflecken müssen. Aber Ruf oder guter Name sind mir gleichgültig. Nennt mich ruhig Bluttrinker, wenn ihr wollt. Ich werde das Blut sämtlicher Feinde der Menschheit trinken, wenn Europa dadurch frei wird.«
    Eine Stimme von der Gironde: »Du redest, als wärst du ein König.«
    Er reckte das Kinn vor: »Und du, als wärst du ein Feigling.«
    Er hatte fast vier Stunden lang gesprochen. Draußen schwoll die Menge an und rief seinen Namen. Die Abgeordneten standen dicht an dicht in ihren Reihen und applaudierten. Sogar Roland, sogar Brissot waren aufgesprungen; sie wollten fliehen. Fabre rief ganz außer sich: »Du hast dich selbst übertroffen, du hast dich selbst übertroffen!« Der Berg kam zu ihm herunter. Er war umdrängt von seinen Anhängern, der Beifall dröhnte ihm in den Ohren. Mitten durch das Gewühl schlängelte sich madengleich Dr. Marat und zupfte ihn am Ärmel. Danton sah hinab in die blutunterlaufenen Augen.
    »Jetzt ist die Zeit reif, Danton.«
    »Wofür?«, fragte er nüchtern.
    »Für die Diktatur. Sie müssen nur die Hand danach ausstrecken.«
    Er wandte sich ab. Im gleichen Augenblick bildete sich in dem Gewimmel wie von selbst eine Gasse. Durch diese Gasse schritt Robespierre. Jedes Mal, wenn ich heimkomme, dachte Danton, hast du an Macht hinzugewonnen. Robespierres Gesicht war starr vor Anspannung, er schien gealtert, seine Kiefermuskeln traten knotig hervor. Aber als er sprach, war seine Stimme leise, behutsam: »Ich wäre gern persönlich zu Ihnen gekommen, aber ich wollte nicht aufdringlich sein. Ich bin nicht gut darin, die richtigen Worte zu finden, und wir stehen uns nicht so nahe, dass Worte überflüssig wären. Das ist meine Schuld, fürchte ich. Und ich bedauere es.«
    Danton legte ihm die Hand auf die Schulter. »Mein guter Freund, ich danke Ihnen.«
    »Ich habe Ihnen geschrieben – obwohl ich immer das Gefühl habe, solche Briefe nützen keinem etwas. Aber ich wollte Sie wissen lassen, dass Sie auf mich zählen können.«
    »Das werde ich.«
    »Es besteht keine Rivalität zwischen uns. Wir wollen ein und dasselbe.«
    »Schaut euch das an«, sagte Danton. »Hört euch diesen Jubel an. Und vor ein paar Wochen haben sie mir ins Gesicht

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