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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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nach oben, in die schäbige Enge der elterlichen Wohnung. Schon jetzt, mitten am Nachmittag, dämmerte es. Sie saß da und dachte an Claude Dupin. Wenn Lucile wüsste, wie ernsthaft sein Interesse an ihr war – wie bald sie vielleicht schon eine verheiratete Frau sein würde –, würde sie es dann auch wagen, sie als dummes Gänschen abzutun?
    Ihre Mutter hatte nachsichtig gelächelt, insgeheim aber frohlockt: So ein guter Fang! Nach deinem nächsten Geburtstag, sagte sie. Dann können wir langsam darüber reden. Fünfzehn ist zu jung. Nur Adlige werden mit fünfzehn verheiratet.
    Claude Dupin war selbst erst vierundzwanzig, aber er war (schon, sagte ihr Vater) der Generalsekretär des Seine-Départements. Nicht, dass sie das sonderlich aufregend finden konnte. Aber er sah auch gut aus.
    Vor zwei Wochen hatte sie ihn Gabrielle vorgestellt. Er trat sehr gewandt auf, sehr ungezwungen, fand sie – wobei Gabrielle natürlich auch niemand war, der andere Leute einschüchterte. Er gefiel ihr, das sah sie Gabrielle an; sie freute sich schon darauf, morgen mit ihr zusammensitzen und frei von der Leber weg über Claude Dupin plaudern zu können: Fanden Sie nicht, er ist dies, fanden Sie nicht, er ist das? Wenn Gabrielle wirklich, wirklich für ihn war, wenn sie so einverstanden mit ihm war, wie es den Anschein hatte, wer weiß, vielleicht redete sie dann ja mit ihren Eltern, und ihre Eltern sagten: Gut, du warst ja schon immer sehr erwachsen für dein Alter, fünfzehn ist eigentlich doch groß genug. Wozu warten? Dazu ist das Leben zu kurz.
    Aber mitten hinein in den ruhigen, gesitteten, wunderbaren Lauf, den die Dinge nahmen, war Bürger Danton mit seinem Tross geplatzt. Claude Dupin wurde vorgestellt. »Ah, der Wunderknabe«, sagte Bürger Fabre. »Der berühmte Kinder-Administrator, der schon in der Wiege Großes vollbracht hat. Da wollen wir doch mal sehen.«
    Und er musterte Claude Dupin durch sein Lorgnon.
    Bürger Hérault sah glasig durch Claude Dupin hindurch, scheinbar außerstande zu begreifen, wer oder was er war. »Gabrielle, Liebste«, sagte er und küsste ihre Gastgeberin, worauf er Platz nahm, sich ein Glas von Bürger Dantons bestem Cognac einschenkte und die Versammelten mit seiner lauten, nasalen Stimme mit Anekdoten über Louis Capet zu unterhalten begann, den er natürlich bestens gekannt hatte. Das war schlimm genug, aber noch schlimmer war Bürger Camille: »Claude Dupin, dass ich Sie endlich kennenlernen darf!«, flötete er. »Ich habe diesem Moment förmlich entgegengelebt.« Damit rollte er sich in der Sofaecke zusammen, legte den Kopf an Gabrielles Schulter und heftete den Blick auf Claude Dupins Gesicht, wobei er ab und zu verzückt vor sich hinseufzte.
    Bürger Danton unterwarf Claude Dupin einem strengen Verhör über die Angelegenheiten des Départements; sie nahm es ihm nicht übel, so arbeitete er eben. Claude Dupin durfte zeigen, was er konnte, und seine Antworten klangen für sie intelligent und selbstsicher; nur leider schloss, sooft er etwas besonders Treffendes sagte, der Bürger Camille die Augen und erschauerte, als sei die Aufregung zu viel für ihn. »So jung und schon ein perfekter Bürokrat«, murmelte Fabre. Louise dachte, wenn Gabrielle irgendetwas für sie empfand, dann sollte sie Bürger Camille nahelegen, den Kopf von ihrer Schulter zu nehmen und seine spöttischen Bemerkungen zu unterlassen. Doch Gabrielle schien sich königlich zu amüsieren. Sie legte ihren Verräterinnenarm um Bürger Camille und sah ihn mit Kuhaugen an.
    Allerdings konnte auch Louise nicht leugnen, dass Claude Dupin, kaum dass die anderen ins Zimmer gekommen waren, unaufhaltsam schrumpfte. Er schien ihr plötzlich unansehnlich, gewöhnlich. Nachdem er Bürger Dantons Fragen beantwortet hatte, verlor dieser jedes Interesse an ihm. Danach fiel es Claude Dupin schwer, sich auch nur mit einem Wort ins Gespräch einzuschalten. Sie beschloss, dass es Zeit zum Gehen war. Sie stand auf. Claude Dupin stand auch auf. »Müsst ihr schon weg?«, rief Bürger Fabre aus. »Ihr brecht Camille das Herz!«
    Bürger Danton fing ihren Blick ein. Er zwang sie, ihm mitten in das beängstigende Gesicht zu schauen. Ein Lächeln war es nicht direkt, mit dem er sie ansah.
    Sie war unklug genug, diese Gefühlsschwankungen ihrer Mutter gegenüber zu erwähnen. »Ich weiß nicht, ob er … ob er ganz das ist, was ich will. Verstehst du das?«
    »Nein, das verstehe ich nicht«, sagte ihre Mutter. »Letzte Woche konnte es dir gar

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