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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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fünf. Die arme Frau, sie war immer gut zu mir. Jesus schenke ihr Frieden.«
    »Und das Kind?«, sagte Louise. Ihr war eisig kalt. »Weil ich nämlich gesagt hatte, dass ich mich seiner annehmen werde.«
    »Ein kleiner Bub. Man kann nie wissen, aber ich glaube nicht, dass er uns lange erhalten bleibt. Er sollte zu meiner Freundin, sie wohnt gleich neben mir. Mme Charpentier sagt, sie soll ihn ruhig nehmen.«
    »Auch gut«, sagte Louise. »Wenn es so vereinbart ist. Wo ist François-Georges?«
    »Bei Mme Desmoulins.«
    »Ich geh ihn holen.«
    »Ein, zwei Stunden hält er leicht noch durch, ich würde ihn dort lassen.«
    O Gott, dachte Louise. Ich habe mein Wort gegeben. Schlagartig wurde ihr bewusst, dass die Kinder keine abstrakte moralische Verbindlichkeit waren, sondern Wesen aus Fleisch und Blut mit drängenden Bedürfnissen, die sie nicht zu stillen vermochte.
    »Mme Dantons Mann wird nach Hause zurückkommen«, sagte die Frau. »Er wird bestimmen, wie es weitergeht und wer wohin soll. Darüber musst du dir nicht deinen kleinen Kopf zerbrechen.«
    »Nein, Sie verstehen nicht«, sagte Louise. »Madame wollte, dass ich mich ihrer annehme. Versprechen sind dazu da, dass man sie hält.«
    Es dauerte, bis die Nachricht ihn erreichte. Als Georges-Jacques zu Hause eintraf, war es fünf Tage später, der 16. Februar. Seine Frau lag unter der Erde, aber all ihre Sachen waren noch da; zum Ausräumen hatte die Zeit nicht gereicht, und sie hatten seinen Wünschen lieber nicht vorgegriffen, als hätten sie die Wucht seiner Wut, seiner Schuldgefühle, seines Kummers schon vorausgeahnt.
    Ihre Kleider hingen schlaff im Schrank, wie Folteropfer. Unter dem alten Regime waren Frauen bei lebendigem Leib verbrannt und Männer aufs Rad geflochten worden: Hatten sie mehr gelitten als Gabrielle? Er wusste es nicht. Niemand mochte es ihm sagen. Niemand wollte ihm Einzelheiten erzählen. In diesem Todeshaus verströmten Kommoden und Truhen einen schwachen Blumenduft. Die Schränke waren aufgeräumt. Sie hatte alles Porzellan auf einer Bestandsliste verzeichnet, stellte er fest. Zwei Tage vor ihrem Tod war ihr eine Tasse heruntergefallen. In Sèvres wurde zur Stunde ein neues Mokkatässchen angefertigt. Während man seinen Kaffee trank, würde man den abgeschlagenen Kopf von Louis Capet bewundern können, den Sansons goldene Hand hochhielt, umsprüht von goldenen Blutstropfen.
    Das Hausmädchen fand ein Taschentuch von ihr unter dem Bett, in dem sie gestorben war. Ein verschollener Ring tauchte in Dantons eigenem Schreibtisch wieder auf. Ein Händler lieferte einen Stoff, den sie vor drei Wochen bestellt hatte. Jeder Tag brachte neuerliche Zeugnisse halb erledigter Aufgaben, nicht zu Ende geführter Pläne. In einem Roman steckte noch ihr Lesezeichen.
    Und das war’s.

6. Eine geheime Geschichte
    (1793)
    Das Kind lebte noch, aber er mochte es nicht sehen. Die getroffenen Regelungen schienen ihn nicht zu interessieren. Auf seinem Schreibtisch türmten sich die Kondolenzbriefe. Heuchlerpack, dachte er, während er sie aufschlitzte: Alle wissen sie, was ich ihr angetan habe, aber sie schreiben, als wüssten sie es nicht. Sie schreiben, um sich bei mir einzuschmeicheln, sie schreiben, damit ich mir ihre Namen merke.
    Robespierres Brief war lang und gefühlvoll. Er schweifte – typisch Max – vom Persönlichen ins Politische und – typisch Max – wieder zurück. Ich bin Ihnen verbundener denn je, stand da, ich werde bis in den Tod Ihr Freund sein. »Von nun an sind Sie und ich eins …«, schrieb er. Selbst in seinem momentanen Zustand empfand Danton das als übertrieben. Und warum klang er gar so aufgelöst?
    Camille schrieb keinen Brief. Er saß mit gesenktem Kopf bei Danton und ließ ihn in Vergangenem schwelgen und Tränen vergießen und ihm Verfehlungen aller Art ankreiden. Er wusste nicht, wodurch er das verdient hatte, warum seine gesamte Laufbahn und Persönlichkeit plötzlich unter Beschuss standen, aber Danton tat es offenbar gut, ihn anzuschreien. Er wurde müde darüber. Er konnte endlich schlafen. Er hatte nicht geglaubt, dass er je wieder ein Auge zutun würde. Gabrielles Geist verfolgte ihn in dem rot tapezierten Arbeitszimmer, in dem achteckigen Esszimmer, wo früher seine Kanzlisten bei der Arbeit gewesen waren, in dem Alkoven im Schlafzimmer, wo sie in ihren getrennten Betten gelegen hatten, während die Kluft zwischen ihnen von Monat zu Monat wuchs.
    Er schlug ihr Tagebuch auf, das sie sporadisch in ihrer breiten

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