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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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Blick über die tosenden Bankreihen; nickte dem Präsidenten zu, strich sich das Haar aus der Stirn, sagte bei sich: »Tja, Dr. Marat, der erste Treffer geht an die anderen.«
    Als er mit weichen Knien an seinen Platz bei den Montagnards zurückkehrte, war da kein Danton, kein Robespierre; sie wollten mit der Sache nichts zu tun haben. François Robert, der Marat fürchtete und hasste, sah weg. Fabre warf ihm einen raschen Blick zu, zog eine Braue hoch, biss sich auf die Lippe. Antoine Saint-Just rang sich zum Ansatz eines Lächelns durch. »Übernimm dich bloß nicht«, fuhr Camille ihn an. Er wünschte sich sehnlich ins Freie, in eine weniger hassbrodelnde Luft, aber wenn er jetzt gleich ging, verbuchte die Gironde das nur als weiteren Triumph: Wir haben Marats Hauptfürsprecher nicht nur niedergeschrien, sondern ihn auch aus dem Saal gejagt.
    Nach einer Weile gelang es ihm, sich hinaus in den Tuileriengarten zu stehlen. Vier Jahre in muffigen, stickigen Räumen, vier Jahre der Kontroversen und der Angst. Georges-Jacques sieht die Revolution als eine Verdienstquelle, aber nun fordert die Revolution ihrerseits ihren Preis. Die meisten seiner Kollegen sind dem Alkohol verfallen, manche auch dem Opium; einige haben sich eine Anzahl seltsamer, jäh aufflackernder Krankheiten zugelegt, andere die Angewohnheit, inmitten ihrer Amtsgeschäfte in sehr unmännliche Tränen auszubrechen. Marat leidet an Schlaflosigkeit; sein Vetter Fouquier, der öffentliche Ankläger, hat ihm gestanden, dass er jede Nacht von Toten träumt, die sich an seine Fersen heften. Daran gemessen schlägt er selbst sich noch recht gut, aber Szenen wie der heutigen ist auch er nicht gewachsen.
    Plötzlich wurde ihm bewusst, dass ihm zwei Männer folgten. Tapfer stellte er sich ihnen. Es waren zwei der Soldaten, die den Nationalkonvent bewachten. Sie näherten sich ihm bis auf zwei Schritte. Er griff sich ans Herz; es überraschte ihn selbst, wie klein und dürr seine Stimme klang: »Sie sind natürlich hier, um mich festzunehmen. Das hat der Konvent soeben beschlossen, nehme ich an.«
    »Nein, Bürger, nicht, um Sie festzunehmen. Dann wären wir nicht nur zu zweit hier. Nein, aber wir haben Sie allein hinausgehen sehen, und da dies schlimme Zeiten sind, fiel uns gleich der gute Bürger Lepelletier ein, den man angegriffen und ermordet hat.«
    »Ja, richtig. Auch wenn Sie dagegen nicht viel unternehmen könnten, oder? Es sei denn, Sie würden sich heroisch dazwischenwerfen?«, ergänzte er hoffnungsvoll.
    »Wir könnten wen fangen«, sagte der Soldat. »Einen Meuchelmörder. Wir halten immerzu Ausschau nach Verschwörern, wie Bürger Robespierre es uns aufgetragen hat. Und deshalb …«, er stockte, wandte sich hilfesuchend zu seinem Kollegen um, »… deshalb … wollten wir Ihnen unser Geleit anbieten, Bürger Abgeordneter, und Sie an einen Ort bringen, wo Sie sicher sind.«
    »Das Grab«, sagte Camille. »Das Grab.«
    »Aber wären Sie wohl so nett«, sagte der zweite Soldat, »Ihre Hand von der Pistole wegzunehmen, die Sie da in der Manteltasche stecken haben? Ich kann gar nicht hinschauen.«
    Dieser Tag – und dieser Augenblick irrwitziger Panik – ist keiner, an den er gern zurückdenkt. Heute Abend bei den Jakobinern wird er unter Freunden sein – größtenteils zumindest. Danton wird da sein, und er wird an seinem üblichen Platz neben ihm sitzen. Danton wird bewusst schweigsam und gelassen sein; er weiß, dass sich Camilles Lampenfieber nicht wegreden oder wegscherzen lässt. Wenn es dann so weit ist, wird er sich seinen Weg zum Rednerpult bahnen, durch all die Patrioten, die von ihren Plätzen aufstehen, um ihn zu umarmen, und aus den dunklen Ecken der Galerie, wo sich die Sansculotten versammeln, werden Händeklatschen und derbe Anfeuerungsrufe ertönen. Dann Schweigen, und wenn er zu reden anhebt, sorgsam vorausplanend, um jeden Anflug eines Stotterns im Keim zu ersticken, um problematische Wörter umschiffen und herauslösen und durch gefügigere ersetzen zu können, wird er denken: Kein Wunder, dass das alles ein so heilloser Verhau ist, schließlich hört keiner je, was der andere sagt. In Versailles schon nicht, hier auch nicht, und wenn wir erst gestorben und ein paar Jahre verstrichen sind, wird man es müde werden, danach zu fragen: auch egal, wird man sagen. Wir haben uns selbst in den toten Winkel der Geschichte manövriert, mit unseren schwachen Lungen und unseren Sprachfehlern und unseren Sälen, die für ganz andere Zwecke

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