Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
mich höchstwahrscheinlich wild gewordene Geigenbauer niederschlagen und alle möglichen Händler über mich wegtrampeln werden – während Danton sein neues Mädel begrapscht und du mit einem schönen, nicht zu hohen Fieber im Bett liegst. Wenn du nur Werkzeug des Schicksals bist und jeder andere genauso dafür herhalten könnte, warum nimmst du dir nicht einfach Urlaub?«
»Gut, unsere persönlichen Geschicke stehen natürlich auf einem anderen Blatt. Wenn ich Urlaub machen würde, dann wären Brissot, Roland und Vergniaud gleich mit einem Komplott bei der Hand, wie sie mir den Kopf abschneiden können.«
»Du sagst doch, damit hast du kein Problem? Damit würdest du spielend fertig?«
»Schon, aber es gibt Dinge, die ich vorher gern noch erledigen würde. Und ein sonderlich erholsamer Urlaub wäre es auch nicht.«
»Außerdem fahren Heilige nicht in Ferien«, sagte Camille. »Denn wir mögen ja Werkzeuge des Schicksals sein, aber als austauschbar sehe ich uns deshalb noch lange nicht. Nein, für mich sind wir Heilige, Vollstrecker des göttlichen Willens, die Gott selbst mit seiner Gnade erfüllt hat.«
Charlotte war ebenfalls gerade am Gehen. Ganz so müssten sie mit ihr nicht umspringen, dachte er. Er stand mit ihr auf der Rue Honoré, und Tränen rollten aus ihren Augen und über ihr schnippisches Katzengesicht. »Wenn er wüsste, wie es in mir aussieht, würde er mich nicht so behandeln«, sagte sie. »Diese Hexen machen aus ihm jemanden, den keiner von uns wiedererkennen wird. Sie machen ihn selbstherrlich, sie stacheln ihn dazu auf, immerfort an sich zu denken, daran, wie wunderbar er ist. Ja, er ist wunderbar, aber man braucht es ihm nicht auch noch zu sagen. Oh, er hat keinen Alltagsverstand, kein Augenmaß mehr.«
Er nahm sie mit in die Rue des Cordeliers. Annette war da. Sie sah Charlotte prüfend an und lauschte ihren Klagen. Sie machte dieser Tage immer ein Gesicht, als steckte sie voll kluger Ratschläge, die sie jedoch lieber für sich behielt.
Alle hatten sie für den Abend Plätze auf der Zuschauergalerie der Jakobiner reserviert. »Es wird ein Triumph«, sagte Lolotte. Je weiter der Nachmittag vorrückte, desto stärker regte sich Panik in ihm, wie Katzen, die sich in einem Sack balgen.
Was ist das für eine Angst? Handgemenge mit Geigenbauern machen ihm nichts aus, immer her damit! Aber er hasst dieses schleichende Gefühl, dass etwas bevorsteht, dass es näherkommt, stündlich, minütlich – hasst den Moment, wenn er seine Papiere zusammenrafft und vor aller Augen den Gang zum Rednerpult antritt – dieses sofortige, unleugbare Anschwellen der Feindseligkeit rings um ihn. »Er ist jetzt die herrschende Macht«, hat Claude von ihm gesagt, aber das stimmt nicht ganz. Die meisten Abgeordneten der Mitte und der Rechten stehen auf dem Standpunkt, dass er im Konvent nichts verloren hat, dass seine extremen Ansichten und seine Befürwortung der Gewalt ihn ausschließen sollten; sobald er das Wort ergreift, rufen sie »Laternenanwalt« und »Septembriseur«. An manchen Tagen verschafft ihm das Genugtuung, beschwingt ihn, an anderen fühlt er sich kalt und krank, wenn er es hört. Wie will man im Voraus wissen, was für ein Tag es wird?
Der Tag, an dem die Gironde ihre Anklage gegen Marat vorgebracht hat – das war auf jeden Fall einer der schlechten. In den Bänken saßen die Girondisten dicht an dicht; sah man dagegen zu den Montagnards hinauf, waren dort erstaunlich viele Plätze leer. Wer wird Partei für Marat ergreifen, für den irren, giftigen, abstoßenden Marat? Nur er. Und sie scheinen darauf vorbereitet zu sein, denn der Schrei schallt wie aus einem Mund – wir machen Marat den Prozess, brüllen sie, und dir gleich mit! Und dann das alte Lied: Bluttrinker! Runter vom Podium, brüllen sie, bevor wir kommen und dich holen! Vier Jahre Revolution, und er schwebt in ebensolcher Gefahr wie damals im Palais Royal, als die Polizei gegen ihn vorrückte.
Er harrte aus, solange es nur ging, aber der Präsident war hilflos und winkte schließlich ab: nichts zu machen. Das ganze Übermaß an Grauen und Abscheu, das Marat in den Abgeordneten wachrief, entlud sich nun über ihn, und ihm war nur zu klar – wie auch nicht? –, dass kaum ein Abgeordneter unbewaffnet zur Sitzung erschien. Danton hätte ihnen die Stirn geboten, hätte ihre Schmähungen an sich abprallen lassen, sie mundtot gemacht – aber er war nicht Danton. Er gab es auf, sprechen zu wollen, begnügte sich mit einem langen
Weitere Kostenlose Bücher