Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
erneut den Kopf. »Verzeihung, Bürger Desmoulins. Ich wusste nicht, dass Sie es sind. Ich muss Sie warnen, es ist kein schöner Anblick. Wir balsamieren den Leichnam ein, aber in dieser Hitze, nach vier oder fünf Stunden …« – der Arzt wischte sich die Hände an einem Handtuch ab – »Man könnte meinen, er wäre bei lebendigem Leib schon verwest.«
Er glaubt, dass ich im Auftrag des Konvents hier bin, dachte Camille – in offizieller Funktion. Er sah hin. Dr. Deschamps schob ihm die Hand unter den Ellbogen. »Er war augenblicklich tot. Oder jedenfalls so gut wie. Er hatte gerade noch Zeit zu schreien. Gespürt hat er sicher nichts. Das Messer ist hier hineingefahren.« Er zeigte auf die Stelle. »In den rechten Lungenflügel, durch die Schlagader hindurch bis ins Herz. Wir konnten den Mund nicht schließen, deshalb mussten wir die Zunge herausschneiden, verstehen Sie? Aber Sie sehen, er ist noch gut zu erkennen. So, und jetzt komplimentiere ich Sie hinaus. Ich verbrenne schon die stärksten Duftkräuter, die ich finde, aber der Geruch ist nichts für einen Laien.«
Draußen lehnte Simone noch immer an der Wand. Ihr Atem ging keuchend. »Die Frau braucht ein Opiat, wie oft denn noch?«, sagte Deschamps ärgerlich. »Soll ich Ihnen irgendetwas unterschreiben? Nein? Auch recht. Schauen Sie, ich nehme an, dass Sie in amtlicher Begleitung da sind. Ich weiß nicht, wozu das gut sein soll, die ganze Welt weiß, dass Marat tot ist. Ich hatte schon einen Herrn von den Jakobinern hier, der sich über meine Gehilfen erbrochen hat. Sie sind wahrscheinlich eher von der Sorte, die umkippt, also nichts wie raus mit Ihnen. Sehen Sie zu, dass etwas mit der Ehefrau passiert, oder wer immer sie ist, ja?«
Die Tür fiel zu. Simone sackte gegen ihn. Aus dem Wohnzimmer drangen die barschen Stimmen der Vernehmer. »Ich war seine Frau«, schluchzte Simone. »Gut, er hat mich in keiner Kirche geheiratet, und im Rathaus auch nicht, aber er hat bei allen Göttern der Schöpfung geschworen, dass ich seine Frau bin.«
Was erwartet sie, dachte Camille, will sie, dass ich sie über ihre Rechte belehre? »Sie werden ganz sicher als seine Hinterbliebene anerkannt werden«, sagte er. »Heutzutage gibt niemand mehr viel auf diese Formalien. Tja, jetzt gehört es alles Ihnen – die Druckerpresse und das Papier für die nächste Ausgabe. Halten Sie’s in Ehren. Der Staat wird für die Beerdigung aufkommen, denke ich doch.«
Draußen auf der Straße sah er noch einmal hinauf zu den Fenstern, wo sich gegen das Licht die geschäftigen Silhouetten von Deschamps und seinen Gehilfen abzeichneten. Es begann zu regnen, große, warme Tropfen. Irgendwo in der Ferne donnerte es – Richtung Versailles. Die Menge harrte geduldig aus, dicht gedrängt, wartend.
Die Beisetzung gestaltete David. Der Leichnam sollte in einen plombierten Bleisarg gebettet werden und dieser wiederum in einen violetten Porphyrsarkophag aus der Antikensammlung des Louvre. Aber für den Trauerzug ordnete David an, dass der Verstorbene auf einer Bahre getragen wurde, gehüllt in eine Trikolore, deren Stoff mit reichlich Alkohol getränkt war. Ein von einer appetitlicheren Leiche ausgeborgter nackter Arm hielt einen Lorbeerkranz, und rings um die Bahre schritten weiß gewandete junge Mädchen mit Zypressenzweigen in den Händen.
Dahinter kamen der Konvent, die Clubs, das Volk. Der Zug begann um fünf Uhr nachmittags, er endete um Mitternacht bei Fackelschein. Marat wurde bestattet, wie er bevorzugt gelebt hatte, unter der Erde, in einem mit Granitplatten abgedeckten Grabhügel mit einem Eisenzaun darum.
Das Herz war gesondert einbalsamiert worden; die Patrioten des Cordeliers-Clubs trugen es in seiner Urne mit sich fort zu einem Ehrenplatz, an dem es bleiben sollte bis an der Welt Ende. »Sacré-cœur du Marat«, heulte das Volk.
HIER RUHT MARAT
DER FREUND DES VOLKES
ERMORDET VON DEN FEINDEN DES VOLKES
13. JULI
1793
Robespierres Verhalten beim Trauerzug veranlasste einen Beobachter zu der Bemerkung, er habe dreingeschaut, als gäbe er dem Leichnam das Geleit zum Müllplatz.
9. Ostindien-Geschäfte
(1793)
25. JULI : Danton warf sich mit seinem Stuhl nach hinten, legte den Kopf auf die Lehne und lachte brüllend. Louise zuckte zusammen; sie bangte immerfort um die Möbel, und wenn er ihr noch so oft versicherte, dass genug Geld da sei, um alles neu zu kaufen. »Mein Ausscheiden aus dem Ausschuss«, sagte er, »hat mir einen Anblick beschert, mit dem ich im
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