Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
den Umarmungen, mit denen die Patrioten ihn schier erstickten. Zum zweiten Mal wurde er an Maurice Duplays Schulter gepresst. Er dachte zurück an das erste Mal, damals, als er so knapp Babettes Fängen entronnen war.
»Was schaust du so sorgenvoll?«, fragte Danton ihn.
»Ich frage mich, wie ich diese Eintracht zwischen euch bewahren kann.« Er machte eine kleine Geste mit den Händen, wölbte sie um etwas, das ungefähr so groß wie ein Hühnerei schien und auch ungefähr so zerbrechlich.
Ende August kam die Massenaushebung, und General Custine (vormals der Comte de Custine) verlor den Kopf; das machte den anderen Mut. Am 26. heiratete Elisabeth Duplay den Abgeordneten Philippe Lebas, einen jungen Mann, der alles andere als gut aussehend war, aber dafür ein treuer Republikaner von angenehmem, stetigem, verlässlichem Wesen. »Endlich!«, sagte Camille. »Welch eine Erleichterung!« Robespierre wunderte sich. Die Heirat hatte seinen Segen, das schon – aber sie ist doch erst siebzehn , sagte er.
In den Schlangen vor den Bäckereien wurde das Murren lauter. Das Brot war zwar billig, aber wenig und schlecht. Chabot von der Bergpartei legte sich mit Robespierre wegen der neuen Verfassung an; er wedelte mit den Akten vor seinem Gesicht herum. »Sie verbannt nicht die Armut aus der Republik. Sie sichert denen, die hungern, kein Brot zu.«
Robespierre erstarrte. Das war sein größter Herzenswunsch: den Hungernden Brot zuzusichern. Jedes Ziel außer diesem konnte angegriffen, zerpflückt, in der Luft zerrissen werden. Und ließ sich ein simpleres, erreichbareres Ziel denken? Dennoch konnte er das dahinterstehende Problem nicht anpacken, weil zu viele kleinere Probleme im Weg waren. Er sagte: »Ich wünschte, ich könnte es. Ich wünschte, es gäbe bei uns keine Armen mehr. Aber wir müssen im Rahmen dessen handeln, was machbar ist.«
»Soll das heißen, dass der Ausschuss mit all den Befugnissen, die wir ihm übertragen haben –«
»Ihr habt dem Ausschuss einige Befugnisse und ungleich mehr Probleme übertragen, ihr habt uns vor Aufgaben gestellt, die wir unmöglich lösen können. Ihr halst uns – nur als ein Beispiel – ein Heer von Wehrpflichtigen auf, das wir jetzt verproviantieren müssen. Ihr erwartet alles vom Ausschuss und seid doch neidisch auf die Macht, die er hat. Wenn mir die Speisung der Fünftausend gelänge, hieße es wahrscheinlich, wir hätten unser Mandat überschritten.« Er hob die Stimme, damit auch die Umstehenden ihn hören konnten: »Wenn kein Brot da ist, gebt der englischen Blockade die Schuld. Gebt den Verschwörern die Schuld.«
Er ließ Chabot stehen. Er hatte ihn noch nie gemocht. Er versuchte sich dabei möglichst wenig von der Tatsache beeinflussen zu lassen, dass Chabot nach Meinung aller wie ein Truthahn aussah: aufgebläht, rot, fleckig. Chabot war ein ehemaliger Kapuzinermönch. Schwer vorstellbar, dass er seinen Gelübden der Armut und Keuschheit treu gewesen war. Er und der Abgeordnete Julien gehörten einer Kommission an, die illegalen Spekulationen das Handwerk legen sollte. Da hatten sie den Bock zum Gärtner gemacht, dachte Robespierre. Dummerweise war Julien mit Danton befreundet. Er sah wieder Camilles schmale Hände vor sich, die sich um das Ei wölbten. Chabot denke ans Heiraten, wurde gemunkelt. Eine Jüdin, die Schwester zweier Bankiers, die Frei hießen oder sich zumindest so nannten und habsburgische Flüchtlinge sein wollten. Die Hochzeit würde Chabot zu einem reichen Mann machen.
»Du magst einfach grundsätzlich keine Ausländer«, warf Camille ihm vor.
»Es scheint mir kein völlig verkehrter Grundsatz, wenn wir mit dem Rest von Europa im Krieg liegen. Was wollen sie in Paris, diese ganzen Engländer und Österreicher und Spanier? Ihre Loyalität muss doch anderweitig gebunden sein. Das sind nur Geschäftsleute, heißt es. Was für Geschäfte?, frage ich mich. Warum bleiben sie hier, wo sie mit Papiergeld bezahlt werden und sich von den Sansculotten herumkommandieren lassen müssen? In dieser Stadt, wo die Waschfrauen die Seifenpreise bestimmen?«
»Und zu welcher Antwort gelangst du?«
»Dass sie Spione sind, Saboteure.«
»Von der Finanzwelt verstehst du nicht viel, oder?«
»Ich kann nicht von allem etwas verstehen.«
»In einer Wirtschaft, mit der es bergab geht, lässt sich eine Menge Geld verdienen.«
»Cambon ist der Finanzexperte unserer Regierung. Er sollte mir solche Dinge erklären. Ich werde ihn darauf ansprechen.«
»Aber du hast
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