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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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herumstritt, schien alles Leben aus ihm zu weichen; lethargisch saß er da, eine Hülse, ein Geist. Seltsame Fantasien ergriffen Besitz von ihm, die Sprache der öffentlichen Debatten nahm eine unverhoffte Wendung ins Gewaltsame.
    »Nach Legendre«, schrieb er, »gibt es im Nationalkonvent keinen, der eine höhere Meinung von sich hat als Saint-Just. Man sieht ihm schon von weitem an, dass er seinen Kopf für den Eckstein der Revolution hält, denn er trägt ihn wie eine Hostie.«
    Saint-Just schaute hinab auf die Zeilen, die eine hilfreiche Hand mit grüner Tinte unterstrichen hatte. Sein Gesicht verriet wenig; kein Hohnlächeln verzerrte es wie das der Schurken in den Groschenromanen. »Wie eine Hostie, so«, sagte er. »Er wird seinen bald tragen wie der Heilige Dionysius.«
    »Oh, nicht übel«, sagte Camille, als es ihm hinterbracht wurde. »Für Antoine ist das sogar ziemlich witzig. Wer weiß, vielleicht wird er ja richtig geistreich, wenn er erst groß ist.«
    Gleich darauf begann er in seinem Bücherschrank zu suchen: »Lucile, wo ist Saint-Justs grauenhaftes Gedicht, dieses Versepos in zwanzig Büchern? Da hieß es irgendwo: ›Wäre ich Gott …‹. Ich muss nachschauen, wie es weiterging, bestimmt lässt sich da was draus machen.«
    Dann plötzlich brach er ab, setzte sich, nein, sackte auf einen Stuhl: »Was tue ich hier eigentlich? Saint-Just und ich sollten zusammenhalten. Wir sind Jakobiner, wir sind Republikaner …«
    »Ich such es dir heraus«, sagte Lucile leise.
    »Vielleicht besser nicht.«
    Denn ihn suchten Visionen heim, das Bild dieses Heiligen, Frankreichs Schutzpatron, der mehrere Meilen mit seinem abgeschlagenen Haupt in der Hand dahingewandelt war. Er sah Dionysius erst auf der Place de Grève, vorsichtig schritt er über das Kopfsteinpflaster. Die Wunde war sauber, nirgends klebte Blut, aber der Kopf, der fast salopp an seinem rechten Handgelenk baumelte, war Camilles eigener Kopf. Er sah ihn in Duplays Haus huschen zu einem verstohlenen Besuch bei Robespierre; er sah ihn vor dem Eingang zum Jakobinerclub warten – ein bescheidener Neuankömmling aus der Provinz, der auf seine Einführung in die große Welt hofft.
    Nach ein oder zwei Tagen schien ihm, dass ihm keine andere Wahl blieb, als selbst den ersten Schritt zu tun. Saint-Just umzubringen würde ein Leichtes sein, er brauchte sich nur allein mit ihm an einem geeigneten Ort zu treffen – dann ein Pistolenschuss oder (um keine unnötige Aufmerksamkeit zu erregen) ein Messer. Er sah Saint-Justs Samtaugen vor sich, schmerzschimmernd.
    Aber dazu musste ein Komplott gehören: Saint-Justs Verschwörung gegen die Republik, der er mit dem untrüglichen Instinkt des altgedienten Patrioten auf die Spur gekommen war. Ich bin die Revolution. Wer würde daran zweifeln, dass er Saint-Just in einer Aufwallung patriotischer Vergeltungssucht abgestochen hatte? Er war nicht dafür bekannt, dass er seine Gefühle im Zaum hielt. Um unliebsamen Fragen vorzubeugen, würde es ein sehr kleines Messer sein müssen, so klein, dass man kaum merkte, dass man es bei sich trug.
    Sei nicht albern, sagte er sich zwischendurch. Saint-Just trachtet dir so wenig nach dem Leben wie du ihm. Eher noch weniger.
    Er wohnte der Sitzung des Kriegsausschusses bei, dessen Sekretär er war, und schrieb von dort einen mitteilsamen, vernünftigen Brief nach Hause, in dem er seinen Vater bat, in den Briefen an ihn möglichst nicht Rose-Fleurs Namen zu erwähnen, da Lucile rase vor Eifersucht.
    Trotzdem, die Vision hatte sich in seinem Kopf eingenistet, sie machte sich breit, er konnte sie nicht vertreiben. Er dachte an das Loch in Lepelletiers Seite, die Wunde, die das Schlachtermesser ihm beigebracht hatte, die Wunde, an der er eine ganze Nacht lang gestorben war. Er würde schnell sein müssen, der Stich musste sitzen, Saint-Just war ein gutes Stück größer und stärker als er, und mehr als die eine Chance würde sich ihm nicht bieten. Wenn er bei den Jakobinern Saint-Justs sonore Stimme hörte, lächelte er in sich hinein. Wenn Saint-Just im Konvent am Rednerpult stand, träumte er von seinem Plan, und seine Linke vollführte kleine Hackbewegungen dazu.
    13.  JULI : »Aus Caen offenbar«, sagte Danton. »In Caen sollen in den letzten Wochen Pétion und Barbaroux gesehen worden sein. Es ist eine girondistische Verschwörung. Ich hab damit nichts zu tun, das kannst du mir glauben.«
    Camille sagte: »Ich habe etwas über ein Attentat rufen hören … Ich hatte Angst,

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