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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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es wollten; bei einigen dieser alten Weiber dagegen, die für die Kriegsanstrengungen stricken, sieht man genau, dass sie für ihre Anwesenheit bezahlt werden und es kaum erwarten können, wieder zu gehen und ihren Verdienst zu vertrinken; und die Nationalgarden, die dabei sein müssen, ertragen es schon nach ein paar Tagen nicht mehr.
    Früher ließ der Henker eine besondere Messe für die Seelen der Verdammten lesen, aber das geht heute nicht mehr. Heute sind sie nur noch Ziffern auf einer Liste. Früher hatte dieser Tod seine eigene Würde; für die Hinzurichtenden war es ein besonderes, persönliches Ende. Für sie war man früh aufgestanden, hatte gebetet und sich in Scharlachrot gekleidet, eine steinerne Miene aufgesetzt und sich eine Blume an den Rock gesteckt. Jetzt wurden sie wie Kälber herangekarrt, mit offenem Mund und stumpfem Blick, wie gelähmt durch die Geschwindigkeit, mit der sie von ihrer Verurteilung zum Tod getrieben werden; seine Arbeit ist keine Kunst mehr, sondern gleicht eher der eines Schlachters.
     
    »Während ich das schreibe, höre ich nebenan Gelächter …«
    Seit ihrem ersten Tag im Gefängnis schrieb Manon. Sie musste eine Rechtfertigung, ein Credo, eine Autobiographie zu Papier bringen. Nach einer Weile begannen ihre Handgelenke immer zu schmerzen, ihre Finger wurden in der Kälte steif, und ihr war zum Weinen zumute. Wenn sie aufhörte zu schreiben und es sich gestattete, ihre Gedanken direkt auf die Vergangenheit zu richten statt darauf, wie diese sich in Worte fassen ließ, spürte sie, wie sich ein Abgrund der Sehnsucht in ihr auftat. »… wir hatten nichts.« Sie lag auf ihrer Pritsche, starrte in die Dunkelheit und bereitete sich bewusst aufs Heldentum vor.
    Sie rechnete täglich damit, dass man ihr mitteilte, ihr Mann sei verhaftet worden, werde in irgendeinem Provinzort festgehalten, sei auf dem Weg nach Paris, wo man ihm zusammen mit ihr den Prozess machen werde. Aber was, wenn François-Léonard festgenommen wurde? Vielleicht würde man ihr das gar nicht erzählen. Das war der Preis der Diskretion, der Preis des Wohlverhaltens – sie waren so diskret gewesen, hatten sich so untadelig verhalten, dass selbst ihre engsten Freunde nicht darauf kämen, dass ihr Buzot etwas bedeuten könnte.
    Ihre Zelle im Gefängnis war kahl und kalt, aber sauber. Sie bekam Essen gebracht, doch sie hatte beschlossen, sich zu Tode zu hungern. In kleinen Schritten reduzierte sie ihre Nahrungszufuhr, bis man sie in einen anderen Raum verlegte, der als Spital diente. Jetzt stellte man ihr in Aussicht, dass sie bei Brissots Verhandlung als Zeugin würde aussagen dürfen; dafür musste sie bei Kräften sein, also begann sie wieder zu essen.
    Vielleicht war das von Anfang an ein Trick gewesen? Sie wusste es nicht. Während der Verhandlung brachte man sie in den Justizpalast, wo sie unter Bewachung in einem Nebenraum saß. Doch sie bekam weder die Angeklagten noch den Richter noch die Geschworenen – wenn man denn von Geschworenen sprechen konnte – zu Gesicht. Einer ihrer Wächter berichtete ihr von Valazés Selbstmord. Ein Tod führt zum nächsten. Was hatte Vergniaud noch über das ruhige, samthäutige Mädchen gesagt, das Marat erstochen hatte? »Sie hat uns umgebracht, aber sie hat uns gelehrt, wie man stirbt.«
    Ihr eigener Prozess war hinausgeschoben worden – vielleicht weil man hoffte, Roland zu finden und sie dann beide zusammen zu verurteilen. Natürlich hätte sie um Gnade bitten können, aber die Erhaltung ihres Lebens war es nicht wert, ihr all das zu opfern, wofür sie ihr Leben gelebt hatte. Außerdem war keine Gnade zu erwarten. Von Danton? Von Robespierre? Camille Desmoulins war bei Brissots Verhandlung offenbar in einer ungewöhnlichen Stimmung gewesen. Er hatte gesagt – ihren Wächtern zufolge hatten das zahlreiche Leute gehört –: »Sie waren mal meine Freunde, und meine Schriften haben sie umgebracht.« Aber zweifellos hatte er seine Reue schon wieder bereut, noch ehe ihn die Hände der Jakobiner vom Boden aufgehoben hatten.
    An dem Tag, als man sie in die Conciergerie verlegte, wurde ihr klar, dass sie weder Mann noch Kind je wiedersehen würde. Die Zellen lagen unter dem Saal, in dem das Tribunal tagte; dies war die letzte Station, und selbst wenn Roland jetzt gefasst würde, wäre sie tot, bevor er in Paris einträfe. Am 8. November – oder dem 18. Brumaire nach der Rechnung dieses Scharlatans Fabre – erschien sie vor dem Tribunal. Sie hatte ein weißes Kleid

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